Eliten

Die neue Oberschicht

Netzutopien waren gestern. Die Tech-Elite interessiert sich nicht für Demokratie

Die Tech-Elite des Silicon Valley weigert sich, Verantwortung im Zusammenspiel mit Akteuren wie NGOs, staatlichen Behörden, internationalen Gremien oder Weltkonzernen zu übernehmen. Wozu die Aufregung? Warum Kompromisse suchen? Sie würden sagen: Meinungen sind so 20. Jahrhundert. Es ist libertärer Konsens der Start-up-Szene, die Existenz der Politik zu ignorieren.

Anarchisten fühlen sich dazu berufen, den Staat zu zerschlagen. Computerfreaks kennen solche Impulse nicht, es mangelt ihnen schlicht an Interesse. Zynismus hat die Cyber-Utopien der 1990er-Jahre abgelöst. Auch wenn das aufklärerische Ideal von der Macht der Ideen überdauert hat, geht es heute nicht mehr darum, gesellschaftliche Gegenentwürfe zu erarbeiten. Ob bei Konzepten zu „Smart Cities“ oder zur Lebensmittel-Logistik – immer saugt die IT-Branche wie ein Parasit wirtschaftlichen Mehrwert ab. Diese zahlenmäßige Minderheit, die Tech-Elite, von Kroker und Weinstein 1994 so treffend als die erntende „virtuelle Klasse“ bezeichnet, hat dabei nicht vor, das Ruder zu übernehmen. Ihren Aufstieg können nicht einmal Verschwörungstheorien angemessen beschreiben. Was macht diese herrschende Klasse, wenn sie uns beherrscht? Sie relaxt. Diese enttäuschende Antwort schreit nach einer neuen politischen Theorie. Weder Hegel noch Freud können den Schwebezustand aus Zusammenbruch und Stumpfsinn, der uns umgibt, angemessen erklären.

Die Tech-Elite zieht sich auf selbst gebaute „Internetinseln“ zurück. Diese Strategie des Langzeit-Eskapismus wirkt sich viel tiefgreifender aus als die sadistische neoliberale Agenda, die alle Umverteilungen des Nachkriegs-Wohlfahrtstaates abbauen will. Die Techno-Libertären maßen sich an, technische Lösungen für alle sozialen, politischen und wirtschaftlichen Probleme parat zu haben. Das ist der „solutionism“, von dem Evgeny Morozov spricht. Die scheinbare Komplexität von Problemen ist für sie nur ein rauschender Bildschirm, der wieder richtig eingestellt werden muss. Die Lösungen sind alle vorhanden, man muss nur richtig justieren.

Verschwiegen wird, welchen Mehrwert Google, Facebook oder Amazon abschöpfen. Jede kritische Beobachtung, wie sie beispielsweise die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden auslösten, ist absolut unerwünscht. Wir sollen nicht verstehen, wie die Ökonomie der Daten funktioniert. In unserer Netzgesellschaft ist die Masse zu individuellen Nutzern sozialer Medien geworden, als wären wir in einem Multiplayer-Online-Spiel.

Die auf den italienischen Politikwissenschaftler Gaetano Mosca zurückgehende Unterteilung in eine herrschende und eine beherrschte Klasse ist außer Kraft gesetzt. Die Oberschicht braucht keine Heerscharen von Sklaven mehr, um ihre Vormacht zu behaupten. Die Produktion wird in einem Ausmaß outgesourct, in dem alle Abhängigkeiten unsichtbar werden.

Diese globale Infrastruktur sichtbar zu machen und den zahllosen anonymen Arbeitern, die unsere zerbrechliche Welt über Wasser halten – und die alle ein Smartphone besitzen und sich in sozialen Medien darstellen –, eine Stimme zu geben, wird für so etwas wie eine digitale Solidarität entscheidend sein. Wir haben noch nicht einmal angefangen, uns eine kollektive Vorstellung davon zu machen, wie eine solche planetarische Erreichbarkeit genutzt und gestaltet werden könnte.

Das Zurückbleiben der parlamentarischen Demokratie ist für die Tech-Elite kein Problem. Computerlogik braucht keine Debatten. Solches Geplapper stiehlt nur wertvolle Zeit, die man nutzen könnte, um technische Lösungen zu implementieren, gegen den Klimawandel, gegen Ebola oder für eine effiziente Lebensmittelverteilung. Die gewaltigen Lobbybemühungen von Google in Washington und Brüssel sollten in diesem Licht gesehen werden. Sie zielen darauf ab, dass Institutionen ohne staatliche Einmischung ihre eigenen Interessen verfolgen können.

Eric Schmidt, Executive Chairman von Google, ist hier die Ausnahme. Seine machiavellistischen Ziele freizulegen, ist für Beobachter der Technologiebranche hochinteressant – aber auch er wird Silicon Valley nicht in eine politisch engagierte Elite transformieren. Das schreibt schon Schmidt selbst: „Mithilfe von Technologie kann man Menschen mit Führungseigenschaften finden, doch erschaffen kann man sie damit nicht.“

Aus dem Englischen von Karola Klatt