Der Dämon im Vorstand
Überraschend viele Chefs haben Persönlichkeitsstörungen. Narzissmus ist die häufigste
Narzissmus ist nicht etwas, das man hat oder nicht hat. Ein wenig Narzissmus brauchen wir alle, um richtig zu funktionieren. Er ist gewissermaßen Teil unseres Immunsystems. Zu viel davon ist aber gefährlich. Pathologische Narzissten werden von großartigen Selbstbildern getrieben, sind selbstsüchtig und rücksichtslos und fühlen sich immer im Recht.
Narzissten kann man daran erkennen, wie Untergebene auf sie reagieren. Das wird am Fall von Simon deutlich. Als ich ihn zum ersten Mal traf, galt er als einer der vielversprechendsten Führungskräfte seines Unternehmens. Einige Direktoren hegten jedoch auch Zweifel, ob er die richtige Wahl für die Nachfolge der Geschäftsleitung wäre. Wegen dieser Bedenken wurde ich von Agnes, der stellvertretenden Leiterin des Talentmanagements, gebeten, Simon zu beraten.
Agnes eröffnete mir, dass die Zweifel an Simon aufgekommen waren, nachdem er eine Reihe vorschneller Entscheidungen getroffen hatte. Gekrönt wurde das alles davon, dass Simon den Firmenjet genutzt hatte (hier klang Agnes verärgert) und dafür die halbherzige Ausrede lieferte, er hätte nur Geld sparen wollen angesichts der Schwierigkeit, den Hauptsitz mit den Nebenstellen in der Region zusammenzubringen.
Simon wurde von den Menschen in dem Konzern als „Nehmer“ wahrgenommen – nie gab er etwas zurück. Einer sagte mir, er fühle sich wie ein Möbelstück auf Simons Weg nach oben. Wie die meisten Narzissten war auch Simon alles andere als ein Mauerblümchen. Er war groß, gut gekleidet, freundlich und hatte etwas Verführerisches an sich. Als ich ihn nach seinen Zukunftsplänen fragte, machte er deutlich, dass er sich für den sicheren Anwärter auf die Nachfolge des Geschäftsleiters hielt. Von den anderen Kandidaten hatte er offensichtlich keine gute Meinung. Höchst aufschlussreich war, wie stark Simon in einer binären Welt lebte, in der die Menschen entweder „für“ oder „gegen“ ihn waren. Er machte unmissverständlich klar, dass man ihm besser nicht in die Quere kam.
Die erste Regel im Umgang mit einem Narzissten ist, alles zu vermeiden, was seinem problematischen Selbstbild gefährlich werden könnte, auch wenn man eigentlich darauf brennt, ihn wachzurütteln. Normalerweise ist ihre Grandiosität ein Bewältigungsmechanismus aus der Kindheit, der dazu dient, ein Gefühl von Unvermögen – es den Eltern nie recht machen zu können – zu kompensieren. Narzissten treten sehr souverän auf, aber das kaschiert nur eine tiefe Verletzlichkeit. Das erste Ziel muss deshalb sein, dem Selbstwertgefühl des Narzissten ein Fundament zu bauen. Man zeigt anfangs Empathie, um eine Vertrauensbasis zu schaffen, und kann dann sachte damit beginnen, die Person mit ihrem fehlgeleiteten Verhalten zu konfrontieren. Der Schlüssel zum Erfolg liegt dabei in zwei Aspekten der Beziehungen des Narzissten zu seinen Mitmenschen, die man sich zunutze machen kann.
Erstens haben Narzissten gemeinhin eine binäre Neigung: Entweder idealisieren sie oder sie werten ab. Sie neigen dazu, Ihr kindliches Bedürfnis, den Eltern zu gefallen, auf andere autoritäre Persönlichkeiten auszudehnen. Ein Coach kommt ihnen da gerade recht. Simon hat mich sofort als Autorität angesehen und so war es mir möglich, ihm vorsichtig Ratschläge zu erteilen. Zum Beispiel konnte ich ihm klarmachen, dass der Firmenjet zwar einen hohen praktischen Wert für einen vielbeschäftigten Geschäftsmann hat, im Kontext von Maßnahmen zur Kostensenkung aber als extrem teure Alternative wahrgenommen wird – ein Einwand, den er sich zu Herzen nahm.
Zweitens kann man den Ehrgeiz des Narzissten nutzen, um ihn zu motivieren, Gespräche am Laufen zu halten. Die Stärkung des Selbstbewusstseins braucht Zeit und so war es auch in Simons Fall. Doch allmählich konnte ich sehen, wie er mich immer weniger brauchte. Ganz langsam begann er, sich in seine Kollegen hineinzufühlen und ein guter Mentor zu werden. Auch die Entscheidungsträger sahen die Veränderungen. Als der Geschäftsführer in den Ruhestand ging, wurde Simon auf den Chefsessel gesetzt. Leider fallen Narzissten nur allzu oft in ihr altes Verhalten zurück, besonders wenn sie ihr ehrgeiziges Ziel erreicht haben.
Aus dem Englischen von Karola Klatt