Welchen Einfluss hat unsere Kultur?

Ins Auswärtige Amt zieht ein neuer Chef ein – ein guter Moment, um über die Aufgaben der Außenkulturpolitik nachzudenken

Eine Umfrage der BBC im vergangenen Mai in 25 Ländern hat ergeben, dass Deutschland gegenwärtig als das weltweit populärste Land gilt. Das ist sowohl aus historischen wie aus aktuellen Gründen überraschend. Seit siebzig Jahren ist das Image der Deutschen durch den Holocaust verdunkelt. Aktuell hat der Streit über die Zukunft des Euro und die wirtschaftliche Instabilität vor allem in den südlichen Ländern Europas antideutsche Ressentiments genährt. Trotzdem sind laut BBC zum Beispiel 81 Prozent der Franzosen und 68 Prozent der Spanier der Überzeugung, Deutschland habe einen überwiegend positiven Einfluss auf die Welt. Die BBC hat gleich eine Antwort für die derzeitige Popularität der Deutschen mitgeliefert, die weniger überrascht als das Ergebnis selbst. Es ist die Robustheit der deutschen Wirtschaft, die bewundert wird. Menschen in Ghana ebenso wie in China schätzen Deutschland als einen verlässlichen Handelspartner.

Kunst und Kultur aus Deutschland scheinen bei den Bewertungen der BBC-Umfrage keine Rolle gespielt zu haben. Möglicherweise wird auch niemand erwartet haben, dass die Berliner Philharmoniker oder die Programme des Goethe-Instituts bei Ratings dieser Art wahrgenommen werden. Popularität wird nicht durch Hoch-, sondern durch Populärkultur geschaffen. Und darin ist Deutschland notorisch schwach. Man muss nicht gleich an Hollywood denken, um sich vorzustellen, wie die Populärkultur eines Landes dazu beiträgt, seinen Lebensstil, seine Geschichte und Traditionen, die Mentalität seiner Menschen zu verbreiten und zu vermitteln. Italien hat Leonardo und „La dolce vita“, Frankreich hat den Eiffelturm, Dior und Daft Punk, Großbritannien Swinging London, Diana und David Beckham. Deutschland hat das Oktoberfest. Der wesentliche Rest der Kultur aus diesem Land richtet sich an interessierte Minderheiten. Besonders problematisch ist es um die Literatur bestellt.

Laut Angaben des Deutschen Börsenvereins sind beispielsweise etwa 8.000 Fremdsprachenlizenzen für deutsche Bücher vergeben, jedoch 10.700 Bücher aus dem Ausland eingekauft worden. Besonders drastisch ist das Verhältnis bei englischen und französischen Büchern. Während deutsche Verlage in 2011 fast 3.000 literarische Titel aus den USA und Großbritannien eingekauft haben, haben sie ganze 44 Titel in die umgekehrte Richtung verkauft. Über 300 Lizenzen aus der französischen Literatur stehen 37 deutschen Werken gegenüber. Demzufolge ist das quantitative Interesse in Deutschland an englischsprachiger Literatur hundertmal größer als das der englischsprachigen Welt an der Literatur aus dem Lande Goethes und Herta Müllers. Ähnliche Verhältnisse ließen sich für Medien der Populärkultur wie Kino oder Computerspiele berichten: Deutschland ist ein Kultur-Importland. Die Neugier der Deutschen an der Welt ist zu loben. Doch für eine hoch globalisierte Nation ist das Ungleichgewicht von Import und Export ein Armutszeugnis.

Die Umfrage der BBC lässt vermuten, es bestünden Chancen für eine Verbesserung der Lage. Ein Land, dem man seiner wirtschaftlichen Zuverlässigkeit wegen einen positiven Einfluss auf die Welt zutraut, ist auch anderweitig interessant. Dieses Interesse zu stimulieren und auf die Kunst und Kultur dieses Landes zu richten, ist Aufgabe einer alerten Auswärtigen Kulturpolitik. Sie beginnt und betrifft vor allem die Akteure zu Hause. Denn es besteht zwischen Kulturschaffenden, Institutionen und Konsumenten ein bedrückender Konsens darüber, dass Kunst und Kultur aus Deutschland mehr oder minder ausschließlich für die Menschen zu Hause da sind. Nach wie vor tun sich Kultureinrichtungen schwer, in Fremdsprachen zu kommunizieren. Das Kulturangebot richtet sich überwiegend an den heimischen Markt. Kultur in und aus Deutschland ist aber auch für die anderen da. Mögen sich in anderen Bereichen der Gesellschaft auch dramatische Veränderungen vollziehen, der Kulturbegriff trennt hierzulande wie gehabt „High“ und „Low“ säuberlich voneinander.

Die Hochkultur erwartet staatliche Unterstützung, um sich vor dem Markt zu schützen. Kulturelle Eliten, an denen dieses Land reicher ist als fast jedes andere, halten populäre Kultur nach wie vor für degoutant. Populäre Kultur ist kommerziell. Da liegt für viele Akteure des Betriebs das Problem. Zwischen den Kauf- und den Kulturleuten besteht hier ein lange gepflegtes gegenseitiges Misstrauen. Die Wirtschaft wirft der Hochkultur nicht nur insgeheim Schmarotzertum vor, die Hochkultur der Wirtschaft die angebliche moralische Skrupellosigkeit im Handel mit Staaten, die Menschenrechte missachten. Vertreter von multinationalen Unternehmen mögen in Aufsichtsgremien und Fördervereinen von Kultureinrichtungen sitzen, die Erwartungen, die man aneinander hat, sind eher bescheiden.

Die Verantwortung sowohl für die deutsche Kulturdiplomatie als auch für die (Export-)Wirtschaft hat in den vergangenen Jahren in den Händen jener Partei gelegen, die nun aus dem Regierungsgeschäft ausgeschieden ist. Man darf gespannt sein, ob es einer neuen Politik gelingen wird, der Kultur in und aus Deutschland zu Hause und im Ausland jene Popularität zu gewähren, die sie verdient.