„Nach dem Spiel hat keiner mehr nach Hutu und Tutsi gefragt“
Trainerlegende Rudi Gutendorf hat mit Fußballmannschaften auf der ganzen Welt zusammengearbeitet
Sie haben Fußballmannschaften in über dreißig Ländern trainiert. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gesammelt?
Fußball ist etwas, womit ich junge Leute begeistern konnte – weltweit. Auch in China und Japan und überall, wo ich war. Ich habe immer versucht die Jugend in den sogenannten Entwicklungsländern von der Straße auf den Fußballplatz zu holen. Meine primäre Aufgabe war, ihnen Tricks und moderne Taktik zu zeigen, die ich bei Bundesligaclubs wie Schalke und HSV gelernt hatte. Das klappte mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. In Fidschi, Tonga und bei einigen Nationalmannschaften in Afrika ist mir das sehr gut gelungen. Der Grund, warum mir oft Erfolg und Anerkennung zuteil wurde, ist, dass ich nie die Sentenz von Bismarck praktiziert habe: „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.“
Was war Ihre Motivation, im Ausland zu arbeiten?
Von Anfang an war das immer mein Traum: Fußball, den ich geliebt habe, mit dem Beruf und dem Reisen zu verbinden. Finanziert wurde ich von der Fifa, dem DFB oder dem olympischen Komitee, hauptsächlich aber vom Auswärtigen Amt. Dieses schickte mich 1961 als eine Art Sportbotschafter nach Tunesien, um den Lieblingsverein des Staatspräsidenten Habib Bourguiba zu trainieren. So fing alles an.
Hatten Sie als ausländischer Trainer besondere Privilegien?
Ich habe mir nie die Rosinen rausgepickt und war in den entlegensten Ecken der Welt. Oft war es beschwerlich, weil man darauf achten musste, dass man sich nicht Malaria oder andere Krankheiten einhandelte. Das Einzige, was ich mir herausgenommen habe, war, in den bestmöglichen Hotels zu wohnen, weil ich mir da mit dem Wasser wenigstens die Zähne putzen konnte. Wenn es braun war, putzte ich meine Zähne mit Cognac. Da dachten dann alle, ich sei ein Säufer, weil ich so nach Alkohol roch.
Der ruandischen Fußballnationalmannschaft haben Sie den größten Erfolg der Sportgeschichte des Landes beschert.
Das war der größte Moment meiner Karriere. In Ruanda, wo 1994 dieser furchtbare Völkermord war, bei dem sich fast eine Million Hutu und Tutsi mit Macheten die Hälse abgeschnitten hat, habe ich fünf Jahre danach paritätisch eine Nationalmannschaft aufgestellt – mit acht Tutsi und acht Hutu. Höhepunkt war, dass wir gegen die beste Mannschaft Afrikas, die der Elfenbeinküste, ein Unentschieden erreicht haben. Das Stadion war schon morgens bis zur Außenlinie gefüllt. Nach dem Spiel hat keiner mehr nach Hutu und Tutsi und Halsabschneidern gefragt. Die haben sich als Ruander, als ein Volk, gefeiert. Da bin ich so richtig glücklich gewesen. Ich hatte es geschafft, eine Gemeinschaft zusammenzuführen, die wieder ein Ziel hat: den Sieg auf dem Fußballfeld und nicht auf dem Schlachtfeld anzustreben.
Sie haben also durchaus auch politischen Einfluss gehabt?
Ich habe mich aus der Politik rausgehalten. Ich habe Fußball gelehrt, da hab ich mich dran gehalten. Mit der Politik macht man sich Feinde.
Aber mit Politikern hatten Sie doch sicher zu tun?
Als ich 1973 die chilenische Nationalmannschaft trainierte, traf ich den Präsidenten von Chile, Allende, der mir imponiert hat. Mit ihm habe ich abends gerne Whiskey getrunken. Als das Militär putschte, wurde er in seinem Büro erschossen. Ich bin mir sicher, dass Allende sich nicht selbst umgebracht hat, wie heute behauptet wird. Jedenfalls war ich erst kurz vorher gegangen. Das war sehr gefährlich. Die Militärs haben dann bei dem Fußballstadion in Santiago, wo sonst die Spiele stattfanden, die Freunde von Allende erschossen. Ich habe um mein Leben gebangt. Mit der letzten Lufthansa-Maschine wurde ich dann rausgeflogen.
Sie waren auch längere Zeit im Iran.
Ja, ich habe 1988 die iranische Olympiamannschaft trainiert und mit ihnen gegen Polen drei zu null gewonnen – eine Weltsensation im Fußball. Als wir dann zu den Asian Games nach China fuhren, sagten die Mullahs plötzlich:„ No unbeliever on the bench“, also: „Kein Ungläubiger auf der Trainerbank“. Ich musste wieder zurückfliegen. Iran hat dann auch noch die Goldmedaille gewonnen. Das hat wehgetan.
Gibt es in Teams, in denen Spieler aus vielen Kulturen zusammenkommen, nicht auch Konflikte?
Wenn sich zwei innerhalb des Teams gestritten haben, habe ich ihnen in den Hintern getreten, sie auf die Laufbahn geholt und Sport mit ihnen gemacht. Da sind ihnen die Faxen vergangen.
Fußball setzt auch Aggressionen frei. Es gibt gewaltbreite Hooligans, rassistische und homophobe Angriffe auf Spieler. Was macht das mit dem Sport?
Die Idioten in den Stadien, die da Feuerwerkskörper auf den Platz werfen, und solche, die nackt auf den Platz rennen, wollen doch nur im Mittelpunkt stehen. Das sind erbärmliche Flaschen, die den Fußball ausnützen.
Geht es heute im Profisport wirklich noch um Völkerverständigung oder steht nicht vor allem der wirtschaftliche Aspekt im Vordergrund?
Wenn mit Hunderten Millionen Euro gehandelt wird, dann geht es meistens nur noch ums Geschäft. Aber Fußball ist etwas, das die Massen begeistert und Freude macht, und das ist auch ein Wert. Wenn heute schon zwanzigjährige Talente Millionen gezahlt bekommen, gefällt mir das auch nicht, aber da kann man nichts dran machen. Das ist eben so.
Was wollen Sie noch erreichen?
Mein Traum ist es, eine Jugendmannschaft aufzustellen und ein Hin-und Rückspiel in Tel Aviv und Palästina zu veranstalten. Vor 15 Jahren hatte ich eine Verbindung zu Arafat aufgebaut. Aber dann gab es wieder ein Attentat und es ist nichts daraus geworden. Ich war jetzt mit einer Delegation des DFB in Israel und habe mich wieder kundig gemacht, eben auch weil ich meine Erfahrungen aus Ruanda habe und weiß, was man erreichen kann.
Das Interview führten Stephanie Kirchner und Yannick Mäntele