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Keine Eier

Profifußball ist der einzige Sport, in dem Homosexualität immer noch ein Tabuthema ist

Im September 2013 riet Oliver Kahn in einem Interview mit der Zeitschrift Gala homosexuellen Fußballspielern davon ab, sich öffentlich zu outen. „Ein Spieler, der sich outet, steht jeden Samstag im Stadion vor den gegnerischen Fans. Da ist die Stimmung aufgeheizt, da gibt es Rivalitäten – was die Menschen zu unschönen Aktionen treiben kann“, so der Kommentar des deutschen Ex-Nationaltorwarts. Als der in den 1980er-Jahren in der deutschen Jugendnationalmannschaft aktive Spieler Markus Urban 2007 erklärte, dass er während seiner Karriere gefürchtet hatte, seine Homosexualität könne publik werden, überraschte das niemanden. Kahns Äußerung 2013 zeigt jedoch, dass sich seit Urbans Zeit im Fußball wenig getan hat: Homosexuelle Spieler scheinen nach wie vor nicht erwünscht zu sein.

Dabei ist Homosexualität im Spitzensport seit dem Coming-out der amerikanischen Profitennisspielerin Billy Jean King 1981 kein Tabuthema mehr. Heute gibt es in fast allen populären Sportarten offen homosexuelle Athleten, sogar im Boxen und Rugby. Aber in der gesamten Geschichte des Fußballs haben sich bisher nur drei professionelle Spieler während ihrer Karriere öffentlich geoutet. In England bestätigte Justin Fashanu 1990 in einem Interview mit der Boulevardzeitung Sun die Gerüchte, die schon jahrelang über ihn kursierten. Im Profifußball konnte er danach nie wieder Fuß fassen und nahm sich 1998 das Leben. Etwas jünger ist der Fall des US-Amerikaners Robbie Rogers, der sich Anfang 2013 im Anschluss an seinen Rücktritt outete, dann aber wieder zu spielen anfing, was ihn aktuell zum einzigen offen homosexuellen Profifußballer der Welt macht. Der Schwede Anton Hysén steht ebenfalls zu seiner Homosexualität, allerdings spielt er nur in einer unteren schwedischen Liga. Hängt Fußball den anderen Sportarten hinterher? Ist die Fußballkultur nicht zeitgemäß, sogar rückständig? Oder gibt es andere, versteckte Faktoren, die homosexuelle Spieler weiter zur Verschwiegenheit zwingen?

Es muss homosexuelle Fußballspieler geben, wahrscheinlich Hunderte, wenn nicht gar Tausende. Warum aber kennen wir sie nicht? Die gängige Erklärung hierfür lautet: Sie fürchten die feindliche Reaktion der Fans. Das mag wohl zu Markus Urbans Zeiten so gewesen sein, aber lehnen auch die heutigen Fans homosexuelle Spieler ab? Die Antwort lautet: nein. In einer Befragung von 3.500 Fußballfans, die ich mit meinem Kollegen Jamie Cleland durchgeführt habe, gaben neun von zehn Fans an, dass Homophobie im modernen Fußball keinen Platz hat. Sie betonten ausdrücklich, kein Problem mit homosexuellen Spielern zu haben. Dennoch werden die Fans üblicherweise für die angebliche Schwulenfeindlichkeit im Fußball verantwortlich gemacht. Fans eignen sich hervorragend als Projektionsfläche für Erwartungshaltungen, da sie nur schwer selbst Stellung beziehen können. Als der puerto-ricanische Boxer Orlando Cruz und der walisische Rugbyspieler Gareth Thomas sich outeten, zeigten die Fans wenig Interesse am Privatleben der Sportler. Fußballfans würden genauso reagieren. Da es aber außerhalb der – und ich meine das nicht abwertend – eher bedeutungslosen US-amerikanischen Fußballliga keine offen homosexuellen Spieler gibt, lässt sich dieses Argument nicht überprüfen. Die plausiblere Erklärung liegt in der Fußballindustrie.

Agenten und Clubs werden von altmodischen Vorstellungen über die Erwartungshaltungen der Sponsoren und Fans beherrscht. Der Glaube, dass homosexuelle Spieler nicht marktfähig seien, ist in der Fußballindustrie weit verbreitet. „Der Club mit dem schwulen Spieler“ scheint kein wünschenswertes Etikett für einen namhaften Verein zu sein. Während Clubs Homophobie und andere Arten der Diskriminierung offiziell verurteilen, lässt sich annehmen, dass sie betroffenen Spielern raten, mit ihrer Homosexualität hinter dem Berg zu halten – zumindest so lange, bis sie zu einem anderen Verein wechseln oder sich gänzlich aus dem Sport zurückziehen. Und so tragen in den Augen der Öffentlichkeit die Fans weiter die Schuld an der Homophobie im Fußball und können wenig tun, um diesen Mythos zu zerstören.

Aus dem Englischen von Maria Galland