„Kampfkunst bildet den Charakter“
Gusein Magomaev, der „sowjetische Bruce Lee“, unterrichtet im krisengeschüttelten Dagestan Kinder im Kampfsport
Herr Magomaev, wie kamen Sie zu Ihrem Spitznamen „der sowjetische Bruce Lee“?
In der Sowjetunion war ich Trainer des Karate-Nationalteams. Seit Mitte der 1980er-Jahre leite ich in Dagestan eine Schule für asiatische Kampfkünste. Und dann habe ich 1990 in Peking eine Ausbildung zum professionellen Wushu-Trainer gemacht. So kam ich zu meinem Namen. Bruce Lee war ein großer Kämpfer. Es ehrt mich, nach ihm benannt zu sein. Inzwischen habe ich aber einen neuen Namen. Die Chinesen nennen mich „Lao Ma“. Das bedeutet „altes weises Pferd“. Dieser Name gefällt mir noch besser.
Welche Rolle nimmt der Kampfsport in der Erziehung Ihrer Schüler ein?
Wir unterrichten an unserer Schule unterschiedliche Kampfsportarten, aber die meisten unserer Schüler lernen Wushu, die chinesische Kampfkunst. Hierbei misst man sich im Zweikampf. Wushu steigert nicht nur das Körperbewusstsein, sondern trägt auch zur moralischen Entwicklung der Kinder bei. Nur wer menschlich und fair kämpft, gewinnt. Und diese Werte vermitteln wir. Unsere Schüler sollen lernen, jeden einzelnen Menschen wertzuschätzen, auch ihre Feinde.
Dagestan ist in einen kriegerischen Konflikt zwischen radikalen Islamisten und der russischen Zentralregierung verwickelt und war immer wieder Schauplatz von blutigen Auseinandersetzungen, Terroranschlägen und Geiselnahmen. Warum haben Sie gerade hier eine Schule für Kampfsport gegründet?
Die vielen Kämpfe und Kriege haben das Land und die Menschen gezeichnet. Die Lebensumstände in den Bergregionen sind sehr hart. All das wirkt sich auch auf die junge Generation aus. Meine Frau Olga und ich haben damals die Schule gegründet, um einen Ort für junge Menschen auf der Suche nach moralischer Orientierung zu schaffen. Wir wollen sie auch vor dem Einfluss jener Menschen schützen, die eine falsche und extreme Glaubensüberzeugung vertreten und sie auf einen falschen Weg führen.
Auf Ihre Schule wurde einmal ein Brandanschlag verübt. Wie haben die Schüler darauf reagiert?
Alle haben den Vorfall gut überstanden. Später haben wir auch erfahren, wer den Brand gelegt hat. Es waren ehemalige Schüler, die wir zuvor von der Schule geworfen hatten. Aber so schlimm war es nicht. Viel schlimmer ist doch, wenn die Kinder mit einer Waffe in der Hand in den Wald gehen (Anmerkung der Redaktion: sich den Dschihadisten anschließen). Wir haben nach diesem Vorfall mit den Schülern gesprochen und ihnen erklärt, dass sie keine Rachegefühle gegen die Brandstifter hegen sollen.
Kann man Kampfsport unterrichten und gleichzeitig für den Frieden sein?
Aber ja. Sport – und vor allem der Kampfsport – fördert den Frieden. Besonders hier in Dagestan. Wir haben schon viele Krisenjahre überstanden und uns in Geduld geübt. Die Menschen sehnen sich nach Ruhe und Frieden. Und unser Sport hilft, dass diese Zeit näher rückt. Er bewahrt unsere Jugend davor, sich schlechten Dingen zuzuwenden. Die Kampfkünste helfen, den Charakter zu bilden, und das wirkt sich auf alle Lebensbereiche aus. Manche sagen, dass Kampfsport die Menschen aggressiv macht. Aber das betrifft nur diejenigen, die kein Vertrauen in sich selbst und ihre Fähigkeiten haben. Wir bringen unseren Schülern bei, sich selbstbewusst und stark den Anforderungen des Lebens zu stellen.
Welche Erfolge können Sie bei Ihren Schülern sehen?
Die Kinder entwickeln sich hervorragend. Und das nicht nur im Sport. Viele unserer ehemaligen Schüler sind auch in anderen Berufen sehr gut untergekommen. Das zeigt, dass unsere Arbeit Früchte trägt. Darüber sind wir sehr glücklich.
Das Interview führte Maria Galland