Auf in den Kampf
Von Raumgewinn bis Siegestreffer: Wir reden über Sport wie über Krieg
Als die Mannschaft des Fußballvereins Dynamo Moskau im November 1945 für eine Tournee nach Großbritannien kam, stellte der Schriftsteller George Orwell fest, dass man den internationalen Sport am besten als „Krieg ohne die Schießereien“ beschreiben könnte. Beides sei geeignet, Gefühle von Rivalität und gegenseitiger Feindseligkeit hervorzubringen. Tatsächlich aber waren viele der Fans, die die Spiele der sowjetischen Mannschaft damals besuchten – unter ihnen war auch mein verstorbener Vater –, einfach nur erleichtert, dass sie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu einem verhältnismäßig normalen Leben zurückkehrten. Auch wollten die Zuschauer den Repräsentanten des Verbündeten, der im vorangegangenen Konflikt eine so wichtige Rolle gespielt hatte, ihre Ehre erweisen.
Doch für unzählige andere Sportveranstaltungen vor und nach 1945 trifft Orwells Beschreibung durchaus zu: Sportler werden in Friedenszeiten als Ersatzkrieger inszeniert. Und Fans, die ihre Gefühle von Rivalität und Abneigung zum Ausdruck bringen, sorgen dafür, dass traditionelle Feindschaften lebendig bleiben, bereit, sich in den ersten Momenten einer Krise zu verschärfen. Doch die Verbindungen zwischen Sport und Krieg reichen noch tiefer und sind um einiges bedenklicher.
Beide Tätigkeiten sind sehr konkurrenzbetont. Das Ergebnis sind Gewinner und Verlierer. Bei beiden gibt es bestimmte Regeln. Werden sie gebrochen, werden die Regelbrecher bestraft – wenn auch nicht immer. Im Streben nach dem ultimativen Sieg geht es bei einigen Sportarten genau wie im Krieg um Raumgewinne. Dies gilt besonders für solche Mannschaftssportarten, die im Englischen kriegerisch „invasion games“ (deutsch: „Invasionsspiele“) genannt werden. Das beste Beispiel dafür ist American Football: Die gewonnenen Lauflängen werden in etwa auf die gleiche Weise gemessen wie bei den Grabenkriegen im Ersten Weltkrieg.
Nirgendwo sonst wird die Verbindung von Sport und Krieg eindrücklicher dargestellt als in Don DeLillos Roman „End Zone“, in dem die Terminologie von American Football und Atomkrieg austauschbar wird. Auch im täglichen Sprachgebrauch werden Sportmetaphern zu Kriegsmetaphern und umgekehrt: Erfahrene Spieler sind „kampferprobt“. Spiele enden im „Sudden Death“ („plötzlicher Tod“), wenn bei Gleichstand das erste Tor, der erste Punkt der Verlängerung das Spiel entscheidet. Derweil können Armeen einen entscheidenden „Siegestreffer“ landen. Im Ersten Golfkrieg sollen Offiziere zu ihren Soldaten gesagt haben: „Das ist unser Super Bowl.“ Bombenangriffe auf Bagdad wurden als Footballspiele beschrieben, bei denen die Verteidigung nicht aufgetaucht sei.
All das weist auf eine Verschmelzung von Sport und Krieg hin, die umso deutlicher wird, wenn sich die Aufmerksamkeit der Medien auf einen Sportwettbewerb zwischen Nationen, die einen historischen Konflikt haben, richtet. Ein gutes Beispiel dafür ist die englische Boulevardpresse, die immer, wenn englische und deutsche Fußballmannschaften aufeinandertreffen, mit Klischees und Anspielungen auf den Zweiten Weltkrieg aufwartet. Aber untermauert irgendetwas davon die Behauptung, dass Sport einfach Krieg ohne Waffen ist? Sicherlich nicht. Der Krieg bleibt eine blutige Angelegenheit. Ganz egal wie sehr er auch in den Medien inszeniert sein mag, im Krieg sterben Menschen und – was mindestens genauso wichtig ist – sie töten.
Bei einer Sportveranstaltung verliert nur selten jemand sein Leben und wenn doch, dann meist durch einen Unfall und nicht aufgrund der Beschaffenheit des Wettbewerbs. Profiboxen kommt dem Krieg wohl am nächsten, insofern als die Kämpfer versuchen, Punkte zu erzielen, indem sie sich gegenseitig unmittelbare und längerfristige Verletzungen zufügen. Aber selbst hier würden die wenigsten Boxer einen Sieg genießen, der den Gegner das Leben kostet. Sport und Krieg sind also zweifelsohne sehr unterschiedliche Angelegenheiten, egal wie sehr manche Medien beide verschmelzen möchten. Der moderne kommerzialisierte Profisport, der hochgradig wettkampforientiert und vermännlicht ist, heißt ein Wertesystem gut, das auf dem Prinzip „Gewinnen um jeden Preis“ basiert. Auch wenn dies nicht wirklich zum Krieg führt, so kommt es den Kriegern, die auf dem Feld der Nationen und internationalen Beziehungen kämpfen, doch sehr gelegen.
Aus dem Englischen von Rosa Gosch