„Vertane Gelegenheiten“

Politische Aktivisten machen immer öfter mit aufsehenerregenden Aktionen von sich reden. Doch bewegen sie auch etwas?

Ebenso wie die Aufstände in der arabischen Welt 2011 zogen 2012 einige spektakuläre Protestaktionen in der westlichen Welt die Aufmerksamkeit auf sich. Diese Kampagnen spielten sich überwiegend im Internet ab und bedienten sich häufig ähnlicher Mittel wie die Werbe- und PR-Industrie: starker Bilder, einfacher Botschaften und Emotionalisierung. Dies mag einen gewissen Reiz haben, ist jedoch selten effektiv, wie die folgenden Beispiele zeigen.

Im Februar 2012 wurden drei Mitglieder der Punkband Pussy Riot nach einer Protestaktion in der orthodoxen Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale festgenommen. Im Sommer, als den Frauen dafür der Prozess gemacht wurde, waren sie bereits weltweit bekannt. Viele amerikanische Künstler und Prominente, darunter Madonna, Paul McCartney, Björk und sogar Sting, unterstützten Pussy Riot mit feminis­tisch-künstlerischen Punk-Solidaritätsaktionen, die nie gegen die russische oder die amerikanische Regierung gerichtet waren. Stattdessen forderten die Unterstützer der Künstlerinnen auf Englisch, die Anklage gegen sie fallen zu lassen. Da die meisten Demonstranten den legalen und sozialen Kontext des Prozesses nicht verstanden, hatte ihr Protest keine große Aussicht auf Erfolg. Denn, indem sie in eine orthodoxe Kirche eingebrochen waren, hatten die drei Frauen tatsächlich das Gesetz gebrochen. Ein Großteil der russischen Bevölkerung – 42 Prozent laut einigen Umfragen – befürwortete ihre Inhaftierung. Das macht deutlich, wie stark der Rückhalt für die orthodoxe Kirche in Russland außerhalb der liberalen Großstädte ist. Während des Prozesses – den Frauen drohte eine zweijährige Haftstrafe – sahen sich zudem andere russische Demonstranten, wie etwa der 30-jährige U-Bahn-Angestellte Artjom Sawjolow, über den nur lokale Medien berichteten, mit viel härteren strafrechtlichen Folgen konfrontiert. Kein Prominenter unterstützte Sawjolow, sein Auftreten war wohl schlicht weniger spektakulär und glamourös als das der attraktiven Punkrockerinnen.

Viel Aufmerksamkeit erregte auch die sogenannte Kony-2012-Kampagne, die im März zu einer der erfolgreichsten Social-Media-Protestaktionen aller Zeiten wurde. Die Videokampagne zielte darauf, den seit 2005 per internationalem Haftbefehl gesuchten Anführer einer Rebellengruppe, die seit Jahrzehnten die Bevölkerung Nordugandas und angrenzender Staaten terrorisiert, weltweit bekannt zu machen. Damit hatte sie Erfolg, die Videos verbreiteten sich rasend schnell unter jungen Internetnutzern. Jedoch stellte die Kampagne nie die Frage, wie genau Joseph Kony zur Verantwortung gezogen werden sollte. Das verbitterte viele Afrikaner und Experten, die in der Aktion eine neokolonialistische Fortsetzung der „Bürde des Weißen Mannes“ zur Zivilisierung Afrikas sahen. Im Fokus der Kony-2012-Kampagne standen nicht zuletzt die Kampagne selbst und deren exzentrische Organisatoren, die die Zuschauer ihrer rührseligen Clips unter anderem dazu aufforderten, in ihrer Heimatstadt Protestposter aufzuhängen. Ziel des Protestes war ein Mann, der zwar noch immer ein Kriegsverbrecher ist, aber längst nicht mehr einer der Hauptakteure in dem ostafrikanischen Krisengebiet. Unterdessen wurde in den globalen Medien nur wenig über die andauernden Konflikte in Südkurdufan, in der Demokratischen Republik Kongo oder gar in Syrien berichtet. „Wir sind Amerikaner, die Welt wird uns schon zuhören“, glaubten die Organisatoren der Kony-2012-Kampagne. Doch die USA hatten zum Zeitpunkt der Videoveröffentlichung bereits hundert Sondereinsatzkräfte ins ugandische Hinterland entsandt, um Joseph Kony festzunehmen. Was bezweckten die Organisatoren der Kampagne also noch? Sie haben es nie gesagt.

Zweifellos haben die beiden Aktionen es geschafft, sich weltweit Aufmerksamkeit zu verschaffen, doch was wurde letzten Endes wirklich erreicht?  Die Pussy-Riot-Musikerinnen sind nicht die einzigen Aktivisten, die festgenommen wurden, mehrere Hundert Russen stehen derzeit für ihre Teilnahme an den Protesten gegen die Wiederwahl Putins vor Gericht. Keiner von ihnen wird von Prominenten oder globalen Sit-in-Aktionen unterstützt. Auch Joseph Kony ist lediglich eine Randfigur in den Konfliktzonen der Zentralafrikanischen Republik, der Demokratischen Republik Kongo und der Republik Südsudan. Beide Aktionen wären eine Möglichkeit gewesen, auf weitere Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen. Diese Gelegenheit haben die Protestierenden vertan.

Aus dem Englischen Katrin Thomaneck

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