Rap und Ravel

Wie ich mich zwischen europäischer und nordamerikanischer Musiktradition selbst erfand

Mein Großvater, der als ungarischer Jude nach Kanada eingewandert war, setzte meinen älteren Bruder und mich mit fünf und drei Jahren zum ersten Mal ans Klavier. Er brachte uns bei, vierhändig zu spielen. Das war sehr schlau von ihm, denn so zeigte er uns, wie viel Spaß es machen kann, mit anderen zu musizieren. Vielleicht spiele ich deshalb heute noch gern mit und vor anderen. Aber mein Großvater hatte auch sehr fragwürdige Sichtweisen, die an musikalischen und kulturellen Rassismus grenzten. Er sagte Dinge wie: "Der Jazz wird niemals einen Mozart hervorbringen." Man wusste nie genau, spricht er jetzt eigentlich noch über Musik oder geht es hier um die Überlegenheit der europäischen Kultur im Allgemeinen?

Eine andere Regel meines Großvaters war: "Respektiere das Klavier." Ich respektiere die Musik und ich respektiere das Publikum. Aber das Klavier ist für mich ein Werkzeug, ein Spielzeug, das ich manchmal bis an seine Belastungsgrenze bringen muss. Spätestens als ich MTV entdeckte, wurde mir außerdem klar, dass Jazz und Pop viele Mozarts hervorgebracht haben und die Welt des Rap viele Beethovens. Mit ähnlichen Einstellungen wie der meines Großvaters wurde ich jedoch konfrontiert, als ich an der McGill University in Montreal Musik studierte. Das steife, überlegene Gehabe der klassischen Musiker war für mich eine Pose ängstlicher kleiner Kinder, die sich fürchten, dass das, was sie lieben, ausstirbt.

Ich kam zu dem Schluss, dass ich nicht Musik fürs Museum machen, sondern mich mit meiner Generation verbinden wollte. Ich suchte nach einem Ort, an dem dies möglich war, und fand ihn schließlich in Berlin. Dorthin reiste ich im Sommer 1998 gemeinsam mit einer Freundin, der Musikerin Peaches. Wir wanderten durch Kreuzberg und suchten Anzeichen der paradiesischen Boheme, die uns vorschwebte, fanden aber keine. Dann erzählte uns jemand von der Galerie Berlin-Tokyo in Mitte, wo sich in den 1990er-Jahren ein Teil der Berliner Subkultur traf. Wir gingen an einem Donnerstag hin und am Samstag darauf hatten wir unseren ersten Auftritt. Damals machte ich Rap und legte viel Wert auf Performance.

Ich versuchte Aufmerksamkeit zu erregen, indem ich damit spielte, ein Jude in Berlin zu sein, und deutsche und kanadische Fahnen zerschnitt. Der Höhepunkt meiner Anfangszeit in der deutschen Hauptstadt war mein Auftritt in der Bundespressekonferenz, bei der ich vor rund 60 Journalisten meine Kandidatur zum Präsidenten des Berliner Untergrunds verkündete. Ich konzentrierte mich damals stark auf das Konzeptuelle und darauf, lustig zu sein, und traute mich noch nicht richtig, mein musikalisches Talent zu zeigen. In Berlin traf ich viele Leute, die ich als echte, reine Künstler bezeichnen würde. Das zeigte mir, dass ich kein wahrer Künstler bin. Ich brauche Menschen um mich herum, ich brauche Deadlines, den Kick, Geld zu verdienen. Auch negative Gefühle, wie auf jemanden sauer zu sein, andere übertreffen zu wollen oder auf sie eifersüchtig zu sein, motivieren mich. Richtigen Künstlern ist all das egal. Diese Einsicht war zum Teil der Grund, warum ich 2003 nach Paris ging. Dort hatte ich Gelegenheit, den Mainstream kennenzulernen und als Produzent mit Berühmtheiten wie Charles Aznavour oder Jane Birkin zu arbeiten.

Am Anfang kannte ich kaum jemanden und sprach noch nicht so gut Französisch. Ich redete nicht viel und war oft allein. Daraus entstand mein erstes Solo-Piano-Album. Es spiegelt meine Einsamkeit von damals wider und klingt ein bisschen nach Debussy, Ravel und Satie. 2008 erschien mein Album "Soft Power", auf dem ich auch selbst sang. Es kam nicht besonders gut an. Ich glaube, das liegt daran, dass ich mich zu sehr davon entfernt habe, worin ich gut bin und warum die Leute mich mögen. Ich bin kein großer Macher von Alben, sondern Entertainer. Es sind meine Shows, bei denen ich das Gefühl habe, die Leute zu überzeugen, dass ich beides bin, Rapper und virtuoser Pianist, und dass es kein allzu großer Schritt vom einen zum anderen ist.

Protokolliert von Stephanie Kirchner