Holzöfen und Gemüsebeete

Wie meine griechische Familie kreative Krisenbewältigung betreibt und sich dabei auf das Wesentliche besinnt

Meine Eltern tanken neuerdings Gas. Und  sie denken über ein neues Heizsystem für das Haus nach. Seitdem der Erdölpreis in Griechenland krisenbedingt in ungeahnte Höhen schnellte – derzeit kostet der Liter etwa 1,40 Euro (in Deutschland liegt er bei 95 Cent) – , hat sich ihr Interesse für alternative Energiequellen drastisch gesteigert. Meine Cousine Dora hat nicht erst lange gezögert: 2.500 Euro hat sie in die Installation eines Pelletofens investiert. Sie hofft, hierdurch etwa 1.000 Euro im Jahr einzusparen. Das ist mehr, als ihrer fünfköpfigen Familie monatlich zum Leben zur Verfügung steht. Doch nicht alle Griechen können sich einen neuen Brenner leisten. „Viele haben die alten Holzöfen der Großeltern aktiviert und beheizen nur einen Raum. Es ist wie früher, wie in den alten Zeiten“, sagt meine Mutter. Aus ihrer Stimme höre ich Unglauben und Empörung heraus – aber auch einen klitzekleinen Funken Nostalgie.

Meine Familie lebt im Nordwesten Griechenlands in einem Dorf mit 800 Einwohnern unweit der Stadt Ptolemaida. Als in den 1980er-Jahren die staatliche Stromgesellschaft DEI mehrere Berg- und Kraftwerke in der Region errichten ließ, verwandelte sich das karge Dorfidyll schlagartig in das Abbild einer neureichen Vorstadt. Die guten Löhne der Stromgesellschaft ermöglichten den Bewohnern ein modernes Leben fernab der Landwirtschaft. Heute besinnen sich viele wieder auf Altbewährtes. Meine Cousine Dora hat einen Gemüsegarten auf ihrem Grundstück angelegt. Sie ist Leiterin des örtlichen Altenzentrums, ihr Mann arbeitet als Mechaniker in den Bergwerken, zwei der Kinder studieren in Thessaloniki, zwei gehen noch zur Schule. Aufgrund der Lohnkürzungen im öffentlichen Sektor stehen der Familie monatlich 1.000 Euro weniger zur Verfügung als vorher. Hinzu kommen hohe Ausgaben für neu eingeführte Steuern, wie etwa für Benzin oder Eigentum. Nach der Arbeit und am Wochenende baut die Familie nun Kartoffeln, Rote Bete, Kürbisse und Auberginen an. „Zu hundert Prozent biologisch und ohne Pes­tizide“, verkündet meine Cousine nicht ohne Stolz. Die Erträge tauscht sie innerhalb der Dorfgemeinschaft gegen Äpfel, Birnen, Käse oder Fleisch. Einen Teil nimmt sie mit in die Stadt, für die alten Menschen, die sie betreut.

Meine andere Cousine, Martha, ist Englischlehrerin und wird in letzter Zeit schon mal mit Lebensmitteln bezahlt. Manchmal verzichtet sie auch komplett auf ihren Lohn, besonders wenn ein Schüler kurz vor der Abschlussprüfung steht und sonst den Kurs abbrechen müsste. Aber obwohl sie die Preise gesenkt hat, kamen immer mehr Kinder nicht mehr zum Unterricht. Auch für Martha, die mit einem Polizeibeamten verheiratet ist, ist es schwerer geworden, über die Runden zu kommen. Sie wisse nicht, wie sie derzeit ohne die Unterstützung ihrer Eltern das Germanistikstudium der Tochter finanzieren sollte, erzählt sie.

„Es gibt hier keinen Sozialstaat. Jeder hilft, wo er kann“, sagt meine 62-jährige Tante Eleni, die früher in Deutschland Gastarbeiterin war und zu Zeiten des Baubooms ihr Erspartes in eine Wohnung in Athen investiert hat, die sie jetzt vermietet. Wie viele andere Griechen hat auch sie im Sommer die Miete gesenkt. Eleni erzählt, dass in den Supermärk­ten jetzt Körbe ausliegen, um Lebensmittel für die Armen zu sammeln, es gibt eine Suppenküche in der Stadt und sogar im Dorf steht ein Kleidercontainer. Früher waren diese Dinge nur etwas für die Ärmsten in den großen Städten. Heute ist immer mehr auch die Mittelschicht darauf angewiesen, denn auch die Großfamilie kann oft nicht helfen. Die Menschen zeigten wieder mehr Fürsorge, findet meine Tante. Trotzdem sei es nicht mehr so wie in alten Zeiten. Sie erinnert mich daran, dass im Haus meiner Eltern im Sommer eingebrochen wurde und aus dem Garten der Nachbarn drei Bäume geklaut wurden, weil sie als Heizmaterial benötigt wurden.

Kaum etwas Gutes kann mein Cousin Alekos der Krise abgewinnen. Zwar produziere die Familie nur noch die Hälfte an Müll und jeder Einkauf, sei es auch nur eine Tafel Schokolade, werde gut abgewogen. Jedoch: „Wenn wir weniger konsumieren oder in alternative Energien investieren, so tun wir dies nicht aufgrund unseres ökologischen Gesinnungswechsels, sondern aus blanker Not. Das ist ein großer Unterschied.“ Alekos’ ältester Sohn Christos kann ihm nur teilweise zustimmen. Christos hat vergangenes Jahr sein Informatikstudium abgeschlossen. Er spricht fließend englisch und wie viele seiner Kommilitonen hätte auch er ins europäische Ausland ziehen können. Doch er hat sich entschieden, in Griechenland zu bleiben. Gemeinsam mit seiner Freundin möchte er in den Bergen eine Biofarm betreiben – aus purer Überzeugung.