Frühstück für die Götter
Von der Begegnung polnischer Einwanderer mit brasilianischen Bräuchen
Mein Großvater Jan Wierzchowski kam 1936 nach Brasilien. Er wurde in Polen geboren und hatte Ingenieurwesen studiert. Mit 24 Jahren wanderte er mit seiner Ehefrau Feliska aus. Ich habe viel über die Beweggründe nachgedacht, die ihn dazu veranlasst haben, seine so geliebte Heimat zu verlassen, und ich denke, es war Hitlers Faust, die ihn in Richtung Ungewissheit trieb (und es wird auch ebendiese, inzwischen blutbefleckte, Faust gewesen sein, die ihn mitten im Krieg veranlasste, nach Europa zurückzukehren). Jan und Feliska gingen in Rio Grande do Sul an Land, wo Feliska an den Folgen einer Krankheit starb.
Jan ließ sich im Landesinneren nieder und nahm Anna zur Frau, die Tochter von polnischen Einwanderern, meine Großmutter. Sie bekamen fünf Sprösslinge; ich bin die Tochter von Irene, dem zweiten Kind des Ehepaares. Jan zog mit meiner Großmutter nach Porto Alegre und arbeitete als Schreiner. Als Polen von den Deutschen überfallen wurde, schloss sich Jan der 1. Polnischen Panzerdivision an. Er blieb sechs Jahre im brennenden Europa. Nach Kriegsende lebte er in London, erwarb ein weiteres Diplom und kehrte als "Techniker für Bauwesen" nach Brasilien zurück. Hier gründete er ein Bauunternehmen, machte Karriere und wurde reich. Er holte viele ehemalige polnische Kämpfer nach Brasilien, die wegen des sowjetischen Kommunismus ihre Heimat verloren hatten, und gab ihnen in seinem Unternehmen Arbeit.
Doch ich möchte folgende Geschichte erzählen: Eine dieser polnischen Familien, die mein Großvater bei ihrer Ankunft unterstützte, die Familie Getka, fand Unterkunft in dem bescheidenen Haus, in dem mein Großvater in den ersten Jahren selbst gewohnt hatte. Sie trafen von der langen Reise erschöpft ein und sprachen kein Wort Portugiesisch. Meine Großeltern bereiteten ihnen einen Empfang mit einem Abendessen. Sie versprachen, auch am nächsten Morgen mit dem Frühstück vorbeizukommen. Am nächsten Tag standen sie früh auf, machten Brote und Kaffee und gingen wieder zu dem kleinen Haus (Jans Solidarität mit den Polen war unermüdlich und meine Großmutter stand ihm in nichts nach). Doch dort staunten die Großeltern nicht schlecht: Die befreundeten Einwanderer zeigten sich glücklich und zufrieden mit der "brasilianischen Gastfreundschaft".
Die Großmutter packte den Kaffee aus, doch Herr Getka sagte: "Aber wir haben doch schon gegessen, Anna! Ein Nachbar hat ein großes Tablett vor unsere Tür gestellt, mit Popcorn, Süßigkeiten, Blumen und Getränken." Meine Großeltern betrachteten die Reste der Mahlzeit und brachen in schallendes Gelächter aus: Es war ein despacho, ein Tablett für die Orixás. Zur Erklärung: Das kleine Haus lag an einer Kreuzung, und hier in Brasilien haben die Anhänger von Candomblé und Umbanda (zwei afrobrasilianischen Religionen) den Brauch, für die eine oder andere Gefälligkeit im Leben ihren Göttern Leckereien bereitzustellen. Sie hatten ein Tablett mit den Lieblingsspeisen der Orixás an einer Kreuzung platziert, ein kleines Ritual zelebriert und - voilá - da ist es passiert. Die Familie Getka hatte die Gabe zu Ehren der Orixás für ihr Frühstück gehalten und bis auf den letzten Bissen verzehrt, dziękuję.
Man sagt, es bringe Unglück, so ein Tablett zu berühren, aber die Familie Getka hat es sich damit gut gehen lassen, sie hat hier Wurzeln geschlagen und ist - so weit mir bekannt ist - sehr glücklich geworden. An dem Tag hielt mein Großvater eine Einführung in einige seltsame lokale Sitten und Gebräuche für angebracht. Ich denke, das Ehepaar Getka hat diese Geschichte niemals vergessen, die sich für uns - als Nachfahren von Polen und zugleich hundertprozentigen Brasilianern - zu einer Art Folklore entwickelt hat. Im Candomblé, sagt man, dass jeder Mensch Götter als Schutzpatrone hat. So bin ich beispielsweise die Patentochter von Iansã, also von der Orixá, die über Winde und Unwetter herrscht. Und ich zünde immer eine Kerze für sie an, wenn ich in Bedrängnis gerate. Aber Leckerbissen an einer Kreuzung bereitzustellen, das habe ich noch nie gemacht!
Aus dem Portugiesischen von Stefanie Karg