Die Kirchenburg in Radeln
Wenn ich eine Kirchenburg betrete, befällt mich immer eine gewisse Ehrfurcht
Ich stelle mir die Menschen vor, die dort im Mittelalter Schutz suchten: deutsche Siedler, die von den ungarischen Monarchen ins Land geholt worden waren, um es urbar zu machen. Ihre Dörfer lagen weit auseinander und so mussten sich die Bauern allein gegen Tataren, Hunnen und Türken, die aus dem Osten über die Karpaten ins Land drangen, verteidigen. Deshalb bauten sie ihre Kirchen zu Festungen aus, mit Mauern, Verteidigungstürmen und Vorratskellern. Wenn draußen die Häuser brannten, war man drinnen in der Kirchenburg sicher.
Als ich in Siebenbürgen aufwuchs, waren viele dieser Kirchenburgen bereits verfallen. Ans Restaurieren dachte damals niemand, man war viel zu sehr damit beschäftigt, selbst über die Runden zu kommen. Außerdem wurde im kommunistischen Rumänien beobachtet, wer in die Kirche ging, und der Staat versuchte mit allen Kräften zu verhindern, dass ein neues siebenbürgisches Nationalbewusstsein entstand.
Heute gibt es hier noch rund 150 Kirchenburgen, die weltweit größte Ansammlung dieser Bauten, und einige wurden inzwischen mit beeindruckendem Ergebnis wiederaufgebaut. Kirchenburgen waren zum Schutz da, und genau das ist die Kirchenburg in Radeln, die wir zurzeit restaurieren, heute auch wieder: ein Schutzraum für traumatisierte Kinder aus ganz Europa, die hier in den Ferien herkommen können.
Protokolliert von Julia Reichardt