Wir sind Deutschland

Deutschlands ökonomischer Einfluss in der Welt schrumpft. „Soft Power“ soll es richten – doch was ist dafür nötig? Eine Bestandsaufnahme

Die Zukunft sieht düster aus: Die Welt ist unübersichtlich, der arabische Raum instabil, die globale Kommunikation extrem schnell geworden. Und Deutschland? Blickt einer schrumpfenden Einwohnerzahl entgegen, während andere Länder wachsen. Auch als Wirtschaftsmacht werden wir bis 2050 nicht nur von China, sondern auch von Indien, Brasilien, Russland und weiteren ehemaligen Entwicklungsländern überholt werden. So prophezeit es zumindest das aktuelle Konzeptpapier zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik (AKBP), das im September 2011 von Außenminister Guido Westerwelle vorgestellt wurde. Die Auswirkungen der Globalisierung beschreibt dieses Papier ungewöhnlich drastisch, hat aber auch eine Lösung parat: „Soft Power“ soll Deutschlands Einfluss in der Welt sichern.

Spätestens seitdem der amerikanische Politikwissenschaftler Joseph Nye im Jahr 1990 in der Zeitschrift Foreign Policy den Begriff der „Soft Power“ prägte, ist diese Form der Machtentfaltung ein wichtiges Konzept in der Theorie der internationalen Beziehungen geworden. Länder sollten sich, so argumentierte Nye, ein positives Image im Ausland schaffen, um so ihre Attraktivität bei Investoren, Fachkräften und der allgemeinen Öffentlichkeit zu steigern. Er unterschied den Begriff von der „Hard Power“, der militärischen Macht, doch heute ist unstrittig, dass „Soft Power“ auch für sicherheitspolitische Stärke die Grundlage bildet. Ihre Bedeutung nimmt sogar zu, wenn es darum geht, den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen. Zum Beispiel kann man den globalen Wettbewerb um hochbegabtes Personal für Wissenschaft und Wirtschaft nicht mit herkömmlichen „harten“ Machtmethoden bestreiten – Menschen kann man nicht zwingen, nur locken. Der gute Ruf eines Landes ist dafür zentral. Erforderlich ist deshalb eine nationale Selbstdarstellung und Kommunikation, die sich anders als die klassische Diplomatie nicht nur an Regierungen, sondern auch direkt an die Öffentlichkeiten fremder Staaten richten. Doch „Soft Power“ kommt nicht von allein. Sie muss politisch gewollt sein.

Die Wirtschaft kennt die Bedeutung von „Soft Power“ seit Jahrzehnten: Effiziente Public Relations (PR) und gutes Marketing sichern Wettbewerbsvorteile. Die Politik hat viele der wirtschaftlich erprobten Methoden übernommen: Parteien gestalten sich heute als Politikmarken, Regierungen bringen ihre Botschaften aktiv auf die Agenda der Medien – und auch ganze Staaten versuchen, sich mit PR-Methoden im Ausland positiv darzustellen. Was sich die Bundesregierung davon erhofft, steht im aktuellen Strategiepapier: „Europa stärken, Frieden sichern, alte Freundschaften pflegen, neue Partnerschaften gewinnen.“ Das sind hehre, aber wenig konkrete Ziele. Ähnlich verhielt es sich mit allen außenkulturpolitischen Papieren der letzten Jahre.

Ob in den Regierungsberichten zur AKBP oder der „Konzeption 2000“, dem grundlegenden Konzept für Deutschlands Außenkommunikation im 21. Jahrhundert: Stets waren die Ziele überladen und ungenau. Hinzu kamen Begriffe, die sich die Strategen im Auswärtigen Amt aus Public Relations, Marketing und politischer Kommunikation zusammensuchten, ohne sie genau zu definieren. So ist im aktuellen Konzeptpapier von „AKBP“, von „Cultural Diplomacy“ und von „Public Diplomacy“ die Rede, während die Vorgängerregierung lieber vom „Deutschlandbild im Ausland“ sprach, das es zu modernisieren gelte. Und für die marketinggeleitete Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ ging es um „Nation Branding“. Was damit im Einzelnen gemeint ist, blieb oft unklar.

Es lohnt sich deshalb, die Theorien aus der PR-Forschung und der politischen Kommunikation zu vergleichen und auf die moderne Außenkommunikation anzuwenden. PR schafft eine Steuerungsebene für die integ­rierte Kommunikation einer Organisation und verfolgt einen strategischen Planungsprozess. Es geht darum, die jeweilige Institution auf verschiedenen Meinungsmärkten so zu positionieren, dass langfristig ein positives Image, Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Zielgruppen gewonnen werden. PR agiert dafür sowohl über symmetrische, also dialogisch orientierte Kommunikation, als auch über asymmetrische, Sender-Empfänger-orientierte Kommunikation. Der amerikanische Public-Relations-Theoretiker James Grunig spricht vom „Mixed-Motive-Modell“: Nur wer dem Kommunikationsmix folgt, ist erfolgreich. Dann kann es gelingen, auf Medien und ihren Prozess der Wirklichkeitserzeugung einzuwirken. Schließlich existiert nur das, was in den Medien stattfindet, sagte einst der Kommunikationswissenschaftler Klaus Merten. Dieser These folgend wird auch Politik zunehmend als Ereignis für die Medien inszeniert. Damit werden PR und Marketing zu elementaren Bestandteilen politischer Arbeit.

Will man die hier vorgestellten Theorien aber sinnvoll verbinden und auf die Außenkommunikation anwenden, dann reichen Begriffe wie „Public Diplomacy“ oder „Nation Branding“ nicht aus. Stattdessen hilft der neue Leitbegriff der „strategischen Außenkommunikation“. Diese langfristige Strategie bezieht auf Akteurs- und Rezipientenebene staatliche und nicht staatliche Akteure ein. Sie ist sich bewusst, dass man im globalen Medienbetrieb nach außen nicht mehr etwas grundsätzlich anderes kommunizieren kann als nach innen. Das Ziel strategischer Außenkommunikation ist die Verbesserung des Images eines Landes im Ausland, das übergeordnete Anliegen jedoch die Ausweitung des staatlichen Machtspielraums in den internationalen Beziehungen – eben die „Soft Power“.

Der Kulturvermittlung kommt innerhalb der strategischen Außenkommunikation eine besondere Rolle zu. Bei ihr geht es nicht um Botschaften, sondern um Werte und Identitäten. Sie arbeitet unabhängig vom politischen Tagesgeschäft. Sie schafft langfristige Beziehungen. Und durch den erweiterten Kulturbegriff, der auch Bereiche wie Religion, Technik und Bildung umfasst, kann sie ganz unterschiedliche gesellschaftliche Themen abbilden. Deshalb ist sie glaubwürdig, emotional und integrativ. Innerhalb der strategischen Außenkommunikation agiert Kulturvermittlung nicht für sich allein, sondern dient der Verwirklichung außenpolitischer Ziele. Die deutsche AKBP vermittelt etwa ein vielfältiges Deutschlandbild. Sie erzählt von einem weltoffenen Land, verwurzelt in den Werten der Aufklärung, bereit zum Dialog mit anderen Kulturen und in der Lage, die dunklen Seiten seiner Vergangenheit aufzuarbeiten.

In der Praxis ist jedoch gerade die Kulturvermittlung von einem Dilemma geprägt: Wie verbindet man die kulturelle Vielfalt, die abgebildet und vermittelt werden soll, mit einer hohen Wiedererkennbarkeit der „Marke Deutschland“? Die Ziele der strategischen Außenkommunikation in die Alltagspraxis zu übertragen, ist also ein vielschichtiges Projekt. Die Dauer, Anspracheform und beabsichtigte Wirkung bestimmen gleichermaßen, wie, über welche Kanäle, wann, warum und über welchen Zeitraum hinweg kommuniziert wird. Große Öffentlichkeiten anzusprechen ist vor allem durch die asymmetrische, also einseitige Kommunikation der Massenmedien und große Werbekampagnen möglich: So wird kurzfristig Aufmerksamkeit geschaffen. Darauf aufbauend kann symmetrische, also dialogisch orientierte Kommunikation nachhaltig Vertrauen und langfristige Beziehungen erzeugen.

Die Anspracheformen auf dem Spektrum zwischen symmetrischer und asymmetrischer Kommunikation lassen sich in drei Gruppen untergliedern: Erstens in kommunikative Großereignisse wie Events und Kampagnen, zweitens in Medienarbeit und drittens in Netzwerkkommunikation. Zur ersten Gruppe gehören etwa die Deutschlandjahre, wie sie zurzeit in Indien und bald in Russland und Brasilien stattfinden, aber auch die Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland. Die Ansprache ist hier hauptsächlich asymmetrisch. In der zweiten Gruppe ist die Medienarbeit angesiedelt. Die Anspracheform ist dialogisch gegenüber den Journalisten. Ziel ist es, bei ihnen Vertrauen zu erlangen und damit Einfluss auf ihre Medienagenda zu nehmen.

Die Zeitungsleser und Fernsehzuschauer als eigentliche Zielgruppe der Medienarbeit erleben die Berichterstattung jedoch als asymmetrische Kommunikation. Die dritte Gruppe umfasst die dialogische Kommunikation im Netzwerk, die sich vor allem an Eliten und Multiplikatoren richtet. Die Art der Ansprache ist symmetrisch und langfristig. Ziel ist es, Beziehungen und Wertegemeinschaften mit einem besonders positiven Bild des eigenen Landes zu etablieren. Dazu gehören etwa Journalistenreisen sowie Austauschprogramme für Wissenschaftler oder Künstler. Die drei Anspracheformen – kommunikative Großereignisse, Medienarbeit und Netzwerkkommunikation – haben unterschiedliche Zielgruppen. Während in der asymmetrischen Kommunikation plakative Botschaften und Bilder vermittelt werden, muss die dialogische Kommunikation differenzierter sein.

Entsprechend sollten die deutschen Projekte überprüft werden: Sind sie ganzheitlich in der Themensetzung, wird also die ganze Gesellschaft abgebildet, nicht nur Ausschnitte, die von kurzfristigen Teilinteressen geprägt sind? Bedienen sie alle notwendigen Anspracheformen? Wie das aktuelle Strategiepapier zeigt, geht es für Deutschland bis 2050 um die Frage, ob wir durch die Globalisierung abgehängt werden oder diese durch „Soft Power“ verantwortlich mitgestaltet können.