Männer

Töten, um zu siegen

Die Angst, Schwäche zu zeigen, setzt in der amerikanischen Sicherheitspolitik das Denken außer Kraft

„Wir räuchern sie aus“, versprach Georg W. Bush nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Der markige Satz erinnert an alte Plakate im Wilden Westen, auf denen „Wanted: Dead or Alive“ stand. Die Cowboysprache, der sich der Präsident bediente, um die Bürger seines Landes auf einen kämpferischen Nationalismus einzustimmen, ist Ausdruck einer typisch amerikanischen Version von Männlichkeit.

Männliche Verletzbarkeit und Rache spielten in den Erklärungsversuchen unmittelbar nach dem 11. September 2001 eine bedeutende Rolle. Kommentatoren und Experten lasen den Zusammenbruch der Zwillingstürme als dramatischen Kastrationsakt, zu dem es nur kommen konnte, weil die Nation verweichlicht, schwerfällig und feminin geworden war. Rachefantasien waren voll mit Bildern sexueller Gewalt: Eine Karikatur zeigte Osama bin Laden vornüber gebeugt, eine amerikanische Rakete zur analen Penetration in Stellung gebracht. Eine populäre Parole lautete: „USA: Up Saddam’s ass“ („Rein in Saddams Arsch“). Auf einem Foto schließlich sah man eine Rakete, die von Soldaten mit den Worten „Highjack this, fags!“ besprüht worden war: „Versucht mal die hier zu entführen, ihr Schwuchteln!“

Die Mehrheit der Amerikaner bejubelte den Einmarsch in Afghanistan enthusiastisch und begrüßte anderthalb Jahre später die Invasion im Irak. Massenvernichtungswaffen, Unterschlupf für Terroristen, Verbindungen zur al-Qaida – das waren die Unterstellungen, die einen Präventivkrieg als legitime Selbstverteidigung und eine imperialistische Aggression wie einen „gerechten Krieg“ erscheinen lassen sollten. Nachdem sich Monate später die „Gründe“ für den Krieg gegen den Irak verflüchtigt hatten und jeder Amerikaner hätte wissen können, dass die Rechtfertigungen von der Regierung nur wie Slogans eingesetzt worden waren, widersetzten sich dennoch viele Bürger vehement dieser Erkenntnis.

Man versteht den aggressiven Widerstand, den sie gegenüber den leicht zugänglichen Fakten leis­teten, wenn man die besondere Art amerikanischer Männlichkeit betrachtet, die den nationalistischen Diskurs nach den Ereignissen vom 11. September prägte. Der Stil von Männlichkeit, den Präsident Bush mit seinen Cowboymetaphern heraufbeschwor, kann „souveräne Männlichkeit“ („sovereign manhood“) genannt werden. Eine naive Beschreibung dieses Stils lieferte 2006 der Harvard-Professor Harvey Mansfield in seinem Buch „Manliness“. Souveräne Männlichkeit in ihrer extremsten Ausprägung verachtet Frauen und generell alles Weibliche. Sie muss sich ständig inszenieren, damit die Zeugen dieser Zurschaustellung sie als männlich anerkennen. Sie meidet alles, was als „weich“ gelten könnte, dazu zählt auch, den Verstand zu schulen, öffentlich respektvoll miteinander umzugehen oder moralische Bedenken zu äußern. Sie trachtet nach absoluter Unverletzlichkeit. Rigoros und rücksichtslos verfolgt sie das Ziel, ihre Vorherrschaft zu festigen. Vor allem aber schafft sie ihr eigenes System von Werten und Bedeutungen. Sie braucht sich durch nichts zu rechtfertigen als durch sich selbst, durch eine zwanghafte Zurschaustellung ihrer selbst.

Dieser Männlichkeitsstil ist der Nation nicht nur in Zeiten eines gesteigerten Nationalismus dienlich, sondern ist mit der amerikanischen Kultur in Gänze verwachsen. Souveräne Männlichkeit beherrscht die medialen Darstellungen und zeigt sich nur zu oft in den Sportarenen, beim Heranwachsen amerikanischer Jugendlicher oder in der Gewalt gegen Frauen. Eine zentrale Rolle bei der Entwicklung souveräner Männlichkeit spielt die Scham. Um diesen Männlichkeitsstil herauszubilden, muss ein Junge sich wiederholt für alles, was als mädchenhaft gilt, schämen: für Körperbewegungen, Gefühle, Vorlieben oder Gedanken.

Was ist Scham? Scham ist qualvolle Sichtbarkeit. Scham lässt mich die Hände vor das Gesicht schlagen, die Schultern krümmen, meinen Körper aus dem Blickfeld des Gegenübers drehen. In der Scham steckt meine Abhängigkeit von dir und dein Widerwille gegen mich. Sie zerstört jegliche andere Wahrnehmungsmöglichkeit. Scham ist unerträgliches Ausgesetztsein. Sie verursacht einen Zusammenbruch des Selbst, der sich in dem unbändigen Wunsch, sich zu verstecken, verrät. Empirische Studien belegen, dass Scham die höheren Ebenen des Denkens kurzschließt und das rationale und moralische Hinterfragen lahmlegt. Scham bewirkt, dass man sich tarnt, um nicht als unmännlich entlarvt und verletzt werden zu können. Die Tarnung souveräner Männlichkeit besteht darin, Unverletzbarkeit vorzutäuschen. Souveräne Männlichkeit hat keinen anderen Zweck als diese Tarnung. Der Gedemütigte hat keine andere Wahl, als sich in übertriebene Selbstbehauptung zu flüchten oder unterzugehen. Souveräne Männlichkeit steht in gefährlicher Nähe zur Scham. Sie muss paradoxerweise die Anwesenheit der Scham aushalten, denn es ist die Scham selbst, die sich in einem Akt des Sich-Verbergens in Stärke verwandelt. Wenn sich vor dem Hintergrund schamvoller Erfahrungen souveräne Männlichkeit herausgebildet hat, wird das Erzeugen von Scham bei anderen zum notwendigen Antrieb, um die eigene Stärke wahrzunehmen. Wird die souveräne Männlichkeit nicht länger gedemütigt, so demütigt sie andere, um sich zu reproduzieren.

Im „Krieg gegen den Terror“ war das Folterzimmer der Schauplatz, an dem Scham erzeugt wurde. Die sexualisierte Folter an verschiedenen Orten der Welt, der Einsatz von weiblichem Verhörpersonal, das die Gefangenen sexuell erregen und verletzen sollte, die Homosexualisierung von Gefangenen – alle diese Grausamkeiten hatten nur ein Ziel: bei ihren männlichen Opfern Scham hervorzurufen. Denn eine Nation, die nach souveräner Männlichkeit strebt, wandelt die Scham ihrer Gegner in Stärke um.

Doch nationale Männlichkeit ist genau wie individuelle souveräne Männlichkeit zum Scheitern verurteilt. Absolute Unverletzbarkeit kann es nie geben. Nationale Männlichkeit wirkt als Rechtfertigung auch für ungerechte Kriege, zumindest eine Zeit lang. Sie setzt das kritische Denken und vorsichtige Abwägen außer Kraft. Reflektiertes und moralisches Herangehen wird mit Weichheit assoziiert, mit dem Versagen, kraftvoll und ohne zu zögern Stärke demonstriert zu haben. Bei einer Bevölkerung, die im täglichen Leben mit Bildern souveräner Männlichkeit überfrachtet ist, hat die nationale Männlichkeit ein leichtes Spiel, die Leidenschaft der Menschen zu entfachen.

Präsident Barack Obama kultivierte sehr bewusst einen anderen Typ von Männlichkeit und reanimierte die Figur des verantwortungsvollen Vaters aus dem Amerika der 1950er-Jahre, als die väterliche Autorität noch fürsorglich, wohlwollend und tüchtig war. Das hat Bushs Appell an die souveräne Männlichkeit gedämpft, aber nicht ausgelöscht. Letzten Endes hält noch immer der Vater, der Herr im Haus, der Kommandeur, die Hand am Abzug und demonstriert seinen unbeugsamen männlichen Willen. So auch Obama, wenn er den Krieg in Afghanistan eskaliert und unzählige Drohnenangriffe starten lässt. Das Wohlwollen gegenüber dem guten und verantwortungsbewussten Vater zu Hause wird durch diese Zurschaustellung von Stärke abgesichert. Die Bereitschaft, Unschuldige zu töten, um zu siegen, zeigt, dass die amerikanische Sicherheitspolitik noch  immer von souveräner Männlichkeit bestimmt wird.

Aus dem Englischen von Karola Klatt