Tod in Manila

Miguel Syjucos fulminantes Romandebüt „Die Erleuchteten“ erschließt ein bislang unentdecktes weltliterarisches Terrain: die heutigen Philippinen

Im Februar 2002 wird der Schriftsteller Crispin Salvador in New York tot aufgefunden. Noch aufsehenerregender als der Tod des Autors ist der Verlust seines letzten Manuskripts, „eine nicht vorstellbare Anzahl von Recherchen, die die generationenübergreifenden Verbindungen der philippinischen Elite zu Vetternwirtschaft, illegalem Holzschlag, Glücksspiel und Korruption aufdeckten und entwirrt“. Mit diesem rätselhaften Verschwinden beginnt Miguel Syjucos Roman „Die Erleuchteten“. Was als detektivische Suche nach Manuskript und Todesursache daherkommt, enthüllt und entwirrt jedoch nichts. Ganz im Gegenteil verweben sich in Syjucos furiosem Roman reale und fiktive Personen, Anekdoten und Weltgeschichte, erfundene Blogeinträge und echte Zeitungsmeldungen. Das chaotische Sammelsurium von Textsorten erweist sich jedoch als kluge Reflektion über das Verhältnis von Literatur und Politik und die Situation von Schriftstellern in der Diaspora.

Wer ist der Tote? Crispin Salvador, „der Panther der philippinischen Literatur“, lebte als Verbannter im New Yorker Exil. Einer seiner Studenten ist der fiktive Erzähler Miguel Syjuco, der sich daran macht, die Biografie des Mentors zu schreiben, um so dem rätselhaften Tod auf die Schliche zu kommen. Indem Auszüge aus Crispin Salvadors literarischem Werk abwechseln mit Passagen aus der Bio­grafie von Crispin Salvador, geschrieben vom fiktiven Miguel Syjuco, entsteht ein komplexes Vexierspiel, in dem Spiegelungen und Symmetrien auf wiederkehrende Themen und Motive verweisen. Denn wie Crispin Salvador ist der Erzähler Miguel Syjuco ein Filipino im Exil; ein privilegierter Abkömmling der Oberschicht, der das Glück hatte, in Europa oder Nordamerika studieren zu können.

Beide, Salvador und Syjuco, sind Lebemänner, hoch ambitionierte Schriftsteller mit wechselhaftem Erfolg, die den Kontakt zu ihren unehelichen Töchtern abgebrochen haben. Und genauso wie sein Mentor auf Distanz zu seinem Vater, einem Politiker auf den Philippinen, geht, verurteilt auch der Erzähler Syjuco den politischen Opportunismus und die Selbstsucht seines Großvaters, der „jeden einzelnen Prozess (gewann), denn er hatte vor Jahren die Berufung eines Richters an den Obersten Gerichtshof finanziert“. Beide, Salvador und Syjuco, sind schließlich Nachfahren jener „Erleuchteten“ oder ilustrados, die dem Buch den Titel geben. Ilustrados, waren Intellektuelle, die im späten 19. Jahrhundert aus den spanisch besetzten Philippinen nach Europa gingen, mit radikalen Ideen zurückkehrten und damit die Revolution von 1896 vorantrieben.

Moderne ilustrados, die mit aufgeklärten Ideen ihr Land umkrempeln wollen, sind Crispin Salvador und Miguel Syjuco; hin- und hergerissen zwischen der Sehnsucht nach ihrer Heimat und der Verachtung von Korruption und Missständen, schwanken sie zwischen politischer Partizipation und literarischer Abgehobenheit. In den Textfragmenten der „Erleuchteten” geht es damit vor allem darum, die Möglichkeiten eines öffentlichen Intellektuellen auszuloten. Was kann ein Schriftsteller für sein Land bewirken, gerade dann, wenn er im Exil lebt? Wer hat das Recht, die Erfahrungen einer Nation aufzuschreiben? Wie definiert sich Nationalliteratur? Während sich Salvador und Syjuco an diesen Fragen abarbeiten, entsteht ein Panorama der Philippinen, insbesondere des heutigen Manila. Facetten der Fremdherrschaft der Spanier und Amerikaner blitzen ebenso auf wie die Familiendynastien der Marcos oder Aquinos, die Dekadenz seiner Oberschicht, die Drogen- und Partyexzesse seiner jeunesse dorée, die Bestechlichkeit von Militär und Polizei und die alle einlullenden Fernsehshows.

Nicht alles überzeugt an dem Roman „Die Erleuchteten“. Die eingestreuten Witze von philippinischen Einwanderern in New York sind schal, Syjucos Sprache gelegentlich überdreht, manche Szenen schlicht überflüssig. Und doch wirft Syjuco in seiner virtuosen Collage einen neuartigen, liebevollen und zugleich provokanten Blick auf die Philippinen, zu deren Exportgütern Romane bislang nicht zählten. Zum Schluss zieht er noch einmal alle Register, um seinem Roman mit einem erzählerischen Loop eine neue Wendung zu geben. Der Autor, der heute in Montreal lebt, wurde für das Manuskript des noch unveröffentlichten Romans 2008 mit dem Man Asian Literatur Prize ausgezeichnet.

Die Erleuchteten. Von Miguel Syjuco. Aus dem Englischen von Hannes Riffel. Klett-Cotta, Stuttgart, 2011.