Sympathy for the devil
Investmentbanker wurden lange wie Rockstars verehrt – sie galten als kreativ, rücksichtslos und männlich. Wie konnte das passieren?
Es ist kein Zufall, dass die Trading Floors der Investmentbanker in Wirtschaftsmagazinen, Filmen und den Fernsehnachrichten gerne als Bühne eines Wettkampfes dargestellt werden, auf der Männer zwischen dreißig und fünfzig sich auf die Jagd nach dem schnellen Geld begeben. Die Insignien des seriösen Geschäftslebens mit seinem langweiligen Krämergeist haben die Trader abgelegt: Sie sind lässige Typen, mit aufgekrämpelten Ärmeln, stets ohne Schlips, gerne mit Dreitagebart. Sie sind aggressiv, vom Spieltrieb beseelt und folgen dem Motto: „No risk, no fun“. In der Finanzwirtschaft hat neben dem Koks auch das Testosteron als Aufputschmittel eine tragende Rolle.
Nun kann man einwenden: Alles nur Klischees, Genrebilder, Vorurteile verzärtelter Kulturmenschen, die von Derivaten nichts verstehen. Das mag stimmen, aber Stereotype sind keine Fiktionen, die mit der Realität nichts gemein haben, sondern führen ein Eigenleben. Sie sind nicht nur Vorurteile von außen, sondern wirken auch von innen, als Idealbilder, denen man gerecht zu werden versucht. In „Strukturierte Verantwortungslosigkeit“, einem lesenswerten Buch über die Finanzwirtschaft, schrieb die Soziologin Claudia Honegger 2010 von der „Männerwelt der Banken“. Wer hier etwas gelten will, muss sich dem Bild des mover and shaker anverwandeln, für den das Arbeitsleben ein täglicher kleiner Krieg und Rücksichtslosigkeit eine Tugend ist. Wer Bedenken äußert, hat einfach keine Eier. Dass die Bank, die die Welt beinahe in den Ruin gestürzt hat, „Lehman Brothers“ hieß, ist gewiss ein Zufall, gleichwohl aber nur ein halber: „Lehman Sisters“ hätte wohl nie jemand eine Investmentbank genannt.
Es ist nicht neu, dass das Handeln auf kapitalistischen Märkten mit Männlichkeits- und Kriegsmetaphern beschrieben und gefeiert wird. Dies ist schon bei Joseph Schumpeter unübersehbar, einem der bedeutendsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts und dem größten Theoretiker unternehmerischen Handelns. Der erfolgreiche Unternehmer ist bei Schumpeter „egoistisch gefärbt“ und ein radikaler Individualist. „Da ist sodann der Siegeswille, Kämpfenwollen einerseits, Erfolghabenwollen des Erfolgs wegen andererseits“, schrieb Schumpeter.
Zum geflügelten Wort ist sein Charakteristikum geworden, laut dem das Werk, das der Unternehmer vollbringe, die „schöpferische Zerstörung“ sei: „Zuversichtlich außerhalb der vertrauten Fahrrinne zu navigieren und Widerstand zu überwinden, verlangt Fähigkeiten, die nur in einem kleinen Teil der Bevölkerung vorhanden sind.“ Bei den Summen, die an den Investmentbanken umgesetzt werden, geht es jedoch um fremdes Geld, mit dem gezockt wird – also gerade nicht um eine schöpferische Tätigkeit, auch wenn sich die Banker als paradigmatische Gestalten des Unternehmertums gehalten haben mögen.
Was im Investmentbanker-Milieu seine bizarrsten Ausformungen gefunden hat, ist nur ein Teil einer neuartigen Erfolgskultur, in der Gesellschaft mit Wirtschaft und die Wirtschaft mit Wettbewerb identifiziert wird. Der Sieger in diesem Wettbewerb darf sich als „cooler Typ“ fühlen – und die anderen, die „Loser“, haben nicht nur den Schaden, sondern auch den Spott, sie müssen ja offenkundig uncoole Kerle sein, weil ihnen der Siegeswille und Kämpfergeist fehlt. Dem kulturkritischen Geist mögen diese Selbstbilder als lächerlich erscheinen. Es mag uns erstaunen, wie erwachsene Menschen solchen Rollenbildern aufsitzen konnten, und wie wir es zulassen konnten, dass solche Halbirre die globale Wirtschaft an die Wand fahren. Aber es darf natürlich nicht übersehen werden, welche begehrenswerten Charaktereigenschaften hier mittransportiert werden: Nonkonformismus, Risikogeist, spektakulärer Erfolg.
Noch der kleinste Trader durfte sich als etwas Besonderes ansehen, als kreativer Geist, exzentrisch, unangepasst und weder vom kleinlichen Moralismus noch vom biederen Seriositätsgebot der Spießer gehemmt. Gewissermaßen als Mick Jagger der Geschäftswelt. „Die Wirtschaft ist zur Popkultur verkommen“, hat der Journalist Andreas Zielcke einmal geschrieben: „Das coolste Ding von allen war das schnelle Geld.“ Und der Nobelpreisträger Paul Krugman berichtete in der New York Times Folgendes aus seiner Jugendzeit: „Vor etwa dreißig Jahren, als ich Wirtschaftsstudent war, dachten nur die am wenigsten ambitionierten meiner Mitstudenten an eine Karriere in der Finanzwelt. Zwar war es auch damals so, dass man bei Investmentbanken mehr verdiente als im öffentlichen Dienst oder als Universitätsdozent – aber nicht sehr viel mehr, und abgesehen davon wusste jeder, dass das Bankwesen extrem langweilig war. In den Folgejahren wurde es aber das Gegenteil von langweilig. Die Geschäftemacherei florierte und die Einkommen schossen in den Himmel.“ Als Lektion aus der Finanzkrise forderte Krugman folgerichtig: „Macht das Banking langweilig!“
Wenn wir uns Gedanken über diesen Sachverhalt machen, reicht es nicht festzustellen, dass das Bankengeschäft vom Pfennigfuchsertum zum High-Risk-Business geworden ist, dass die Gierigen von den zunehmenden Phantasiesummen angezogen wurden, die hier verdient werden konnten, und dass diese Summen wiederum die Gier anstachelten, weil Gier ja keine anthropologische Konstante ist, sondern von konkreten Umständen geformt wird. Wir müssen zudem anerkennen, dass wir diese Selbstbilder so schnell nicht wegbekommen. Durch was sollte man sie auch ersetzen? Durch das Bild vom liebenden Familienvater, der seine Kinder zu Bett bringt? Nein, natürlich hat das Image des exzentrischen Künstlers, der Altes hemmungslos kaputtschlägt, um Neues zu schaffen, etwas Begehrenswertes.
Und nicht nur das, es hat auch seine Berechtigung, schließlich schafft es Revolution und Innovation. Der Punkt ist nur: Es ist fatal, wenn die sensibelste Branche einer Marktwirtschaft von solchen Charakteren geprägt wird. Deshalb fordert Krugman: Stellt diese Branche in einen so engen regulativen Rahmen, dass sie strukturell langweilig wird. Vor 25 Jahren durften Bankenchefs, die Spareinlagen verwalteten und Kredite an Unternehmen vergaben, in den USA nicht einmal die Zinsen auf die Sparbücher selbst festlegen.
Natürlich gibt es auch ein Wechselverhältnis zwischen gesellschaftlichen Organisationsformen und individuellen Charakterzügen. Wenn zugelassen wird, dass sich eine Marktwirtschaft zu einem The-Winner-Takes-It-All-Kapitalismus mit den entsprechenden materiellen Ungleichheiten verwandelt, dann ist es kein Wunder, wenn „Geld“ als Ausweis von „Erfolg“ angesehen wird – die einen haben sehr viel mehr als die anderen und sehen sich deshalb als bedeutender an. Das erklärt auch die astronomischen Gehälter der Bankenchefs, die kein Mensch ausgeben kann und die nur dem Statuswettbewerb mit anderen dienen – dem Schwanzvergleich der Alphamännchen. Organisiert man ein Gemeinwesen aber so, dass materielle Differenzen schrumpfen („verrückt hohe Einkommen verdienen verrückt hohe Steuersätze“, sagt Hans-Peter Haselsteiner, einer der reichsten Österreicher), dann verlieren materielle Unterschiede einen Teil ihrer Relevanz.
Wohlgemerkt: nur einen Teil. Und es wird wahrscheinlich auch nicht das Streben der Menschen ausgerottet, als „erfolgreicher“, „wichtiger“ oder „spannender“ als andere Menschen zu erscheinen. Aber dieses Streben wird vielleicht auf Felder umgeleitet, auf denen es weniger Schaden anrichten kann oder sogar Nutzen generiert. Das Feld der Möglichkeiten reicht von der Rockmusik bis zum Verlagswesen, von der IT-Industrie bis zum Möbeldesign. Alles Bereiche, in denen Männer – und Menschen! – als spannende role models erscheinen können, weil sie so verwegen sind, Altes zu überwinden und neue Dinge schaffen – und nicht primär, weil sie Boni für Tätigkeiten einsacken, die nicht einmal sie selbst als sinnvoll ansehen.