Männer

Ein Herz für Männer

Die Sprache des Feminismus schließt die Hälfte der Menschheit aus. Die Verhältnisse können wir nur gemeinsam ändern

Wie der Kommunismus hat auch der Feminismus – und zwar der Feminismus westlicher und weißer Prägung – seine Thesen in hartnäckiger und hegemonialer Weise geltend gemacht. Während die Marxisten das ökonomische Ungleichgewicht ins Zentrum stellen, setzen viele feministische Intellektuelle die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und die Unterdrückung der Frau in den Mittelpunkt und vertreten die Auffassung, dass die Gleichstellung der Geschlechter mit den meisten, wenn nicht gar mit allen Übeln dieser Welt aufräumen würde. Verständlicherweise ruft diese Art des Feminismus mit seinem impliziten Herrschaftsanspruch die unterschiedlichsten Reaktionen bei Männern und Frauen hervor – von sklavischer Ergebenheit über ernsthafte Auseinandersetzung bis hin zu heftiger Ablehnung.

Aus semiotischer und linguistischer Sicht bedingen sich die Ideologie und die Sprache des Feminismus gegenseitig. Die Worte, mit denen Feministinnen ihre Welt beschreiben, beeinflussen ihre Wahrnehmung der Realität und rufen ganz bestimmte Verhaltensmuster hervor. Das Wort „Patriarchat“ zum Beispiel, mit dem das fragwürdige System beschrieben wird, das die Unterdrückung der Frau aufrechterhält und rechtfertigt, weist eine von Männern dominierte Kultur naturgemäß als problematisch aus, während das „Matriarchat“ implizit als die geeignetere, humanere Lösung erscheint. Wie oft sind uns schon Sätze wie „Wenn Frauen die Welt beherrschen würden …“ zu Ohren gekommen, die mit Visionen von weniger Gewalt, besseren Gesundheitssystemen, mehr Gerechtigkeit und nachhaltigerer Politik enden?

Wie das Wort „Patriarchat“ lassen viele Ausdrücke des Feminismus ein Schwarz-Weiß-Bild der Geschlechterverhältnisse und der Macht entstehen. So ruft zum Beispiel „domestic violence“ („häusliche Gewalt“) die Vorstellung von männlichen Schlägern und weiblichen Opfern hervor. „Reproductive choice“ („reproduktive Wahlfreiheit“) wiederum charakterisiert Abtreibung als simple, von der Frau zu treffende Entscheidung, anstatt als langen, schweren Weg, den Mann und Frau gemeinsam gehen müssen. Auch bei dem durchaus sinnvollen Slogan „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ werden implizit die Ungerechtigkeiten allein den Männern angelastet und ihnen eine Art universelle, auf Geschlechterklischees gründende Weigerung unterstellt, etwas von den eigenen ökonomischen Privilegien und der damit einhergehenden sozialen Macht abzugeben.

Doch woher wollen wir wissen, dass es uns mit Frauen an der Macht besser gehen würde? Sind uns noch nie großzügige Männer und boshafte Frauen begegnet? Lässt diese Gleichung nicht die Männer völlig außen vor und verdammt sie zum Schweigen? Kennt mein eigener Sohn etwa kein Mitgefühl? Ist es ihm egal, wie mit den Menschen, mit allen Menschen, umgegangen wird? Und was ist mit den privilegierten Frauen, die ihren Anteil am Fortbestehen sozialer Ungleichheiten haben – Frauen, die mit der herrschenden Elite paktieren und sich wenig um die Aufhebung dieser Ungleichheiten scheren, weil sie einfach nicht davon betroffen sind? Wie hängen Ungleichheiten schließlich mit Herkunft, sexueller Orientierung, Kompetenz und Alter zusammen? Kann ein polarisierender, auf Geschlechterklischees gründender Sprachgebrauch dazu beitragen, die Mehrheit für ein Anliegen zu gewinnen? Ich denke, nein.

Eine feministische Sprache, welche die Position von Männern und Frauen gleichermaßen berücksichtigt, erscheint mir dagegen möglich zu sein. Eine Sprache, welche die Forderung nach Gerechtigkeit und Chancengleichheit mit einer humanistischeren Weltanschauung verbindet. Verdient nicht jeder Mensch gleichen Lohn für gleiche Arbeit, auch die Unberührbaren in Indien, die Roma in Italien, algerische Männer in Frankreich und die Scharen von Männern und Frauen, mit denen wie mit Vieh gehandelt wird und die weltweit Sklavenarbeit verrichten? Und machen uns der Niedergang des industriellen Zeitalters, die wachsende Technokratie und der globale Finanzkollaps nicht alle zu Opfern?

Im Interesse ihrer eigenen Wirksamkeit muss die Sprache des Feminismus der ganzen Komplexität der heutigen Welt gerecht werden, die zwar tatsächlich von stereotypen Geschlechterbildern und Erwartungshaltungen, aber auch von vielen anderen Phänomenen der Ausgrenzung und Dominanz geprägt ist. Wenn wir andere für unser Anliegen gewinnen wollen, sollten wir über einen Perspektivwechsel nachdenken und von der sprachlichen Schwarz-Weiß-Malerei abrücken.

Seit Kurzem wächst das Bewusstsein dafür, dass auch Männer unter der Zuschreibung von Geschlechterrollen leiden. Während Mädchen traditionell dazu erzogen werden, „gute Mädchen“ zu sein, und ihnen bei Widerstand der Entzug psychologischer, emotionaler und finanzieller Unterstützung droht, werden Männer im Interesse ihrer Mannwerdung extremer physischer Gewalt ausgesetzt. So haben tatsächlich alle Männer, die ich für mein Buch „What Makes a Man“ interviewt habe, von Ohrfeigen, Tritten, Kinnhaken und Schlägereien – sowohl innerhalb als auch außerhalb der eigenen vier Wände – berichtet, denen immer die Botschaft „Sei ein Mann!“ anhing. Männer dürfen immer noch nicht weinen und Emotionen zeigen. Sie sollen arbeiten und ihre Familie ernähren, auch wenn sie ihren Job hassen. Sie müssen bereit sein, für ihr Land zu kämpfen, zu töten – und zu sterben. Sie sollen lieber keine Künstler werden. Ihre Körper sind nicht fürs Tanzen da, sondern für Sex. Sie dürfen nicht die Kontrolle über sich selbst oder über Haus und Heim verlieren. Und vor allem sollten sie sich ständig bewusst sein, dass sie in fortwährender Konkurrenz zu anderen Männern stehen. Sie müssen gewinnen oder sich der Demütigung aussetzen.

Die ziemlich junge Erkenntnis, dass Männer selbst zu Opfern von stereotypen Geschlechterbildern werden, wirkt sich auf den sprachlichen Umgang mit den Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern aus. Vor einiger Zeit hat zum Beispiel eine Grundschule in Schweden entschieden, die Schüler nicht mehr als „Jungen und Mädchen“ anzusprechen, sondern als „Freunde“ oder „Kinder“, um die Zuweisung kulturell begrenzter Geschlechterrollen zu vermeiden. Auch die heftig geführte Debatte um eine Neuausrichtung der akademischen Frauenforschung, die auch Männer in den Blick nimmt, hat im Großen und Ganzen zu einem überzeugenden Ergebnis geführt. Heute sind „Gender Studies“ oder „Geschlechterforschung“ an vielen Universitäten Standard und auch die Männerforschung gewinnt an Popularität. Da diese Entwicklung das Risiko birgt, dass die ohnehin schon knappen Mittel für die Frauenforschung angezapft werden und wieder den Männern zugutekommen, wird die Herausforderung sein, mehr Geld für beide wichtigen Forschungszweige einzufordern, sodass nicht einer dem anderen zum Opfer fällt. Letztlich müssen sich alle dafür einsetzen, unnütze Paradigmen zu überwinden. Die Zeiten, in denen wir gezwungen sind, Partei zu ergreifen, sind vorbei.

Die sprachliche Entwicklung vom „maternity leave“ hin zum „familiy leave“ in den USA – ähnlich der deutschen Entwicklung vom „Mutterschaftsurlaub“ zur „Elternzeit“ – ist ein weiterer kleiner Sieg im Kampf gegen Geschlechterrollenbilder, da er den Wunsch der Männer, für ihre Kinder da zu sein, rechtlich einforderbar macht. Auch ist heute die Rede von „unseren Männern und Frauen in der Armee“, was der emotionalen und psychischen Bürde, die auf allen Armeemitgliedern lastet, größeres Gewicht verleiht. Ironischerweise führt das dazu, dass die Notwendigkeit von Kriegen stärker hinterfragt wird. Der Verlust eines Vaters ist unbeschreiblich. Der Verlust einer Mutter aber ungeheuerlich: ein Ereignis wider die Natur.

Es ist auch ermutigend, dass in amerikanischen Schwulen- und Lesbenzentren Frauen beginnen, immer offener über Gewalt, die sie durch andere Frauen erfahren haben, zu sprechen, was dazu führt, dass gewalttätiges Verhalten innerhalb von Beziehungen nicht mehr als rein männliches Phänomen wahrgenommen wird. Unser Begriff von der Natur der unbeherrschten Wut erweitert sich. Ein übergroßes Gefühl der Machtlosigkeit ist ausschlaggebend für häusliche Gewalt, nicht die Beschaffenheit der Genitalien. Und niemand, egal ob männlich oder weiblich, schwarz, braun, gelb oder weiß, hetero oder homo, jung oder alt, fühlt sich gerne machtlos.

Schaffen wir also neue Worte, eine neue Sprache und eine neue Sicht auf die Dinge.

Aus dem Englischen von Hanna Schüßler