Auswandern
Vier Männer erzählen, wie sie sich in der Fremde verändert haben
Zweitfrau als Rettung
Meine ganze Hoffnung liegt jetzt auf einer 98 Kilo schweren Rentnerin aus Rom. Sie will vor allem meinen Körper. Aber sie sagt, sie interessiere sich auch für mein Leben. Ich muss ihr das glauben, denn sie ist die einzige, die bisher auf meine Anzeigen im Internet reagiert hat. Ich biete mich dort als Toy Boy für reiche Sugar Moms an. Freunde von mir sind bereits mit solchen Frauen ausgewandert. Wenn mir die Italienerin eine Ausbildung im Hotel zahlt, könnte ich bald 220 Euro pro Monat verdienen, eine unvorstellbare Summe. Im Gegenzug verwöhne ich sie. Klar wäre Sex mit ihr nicht schön, aber sie würde mich zu jemandem machen. Jetzt bin ich ein Nichts. Ihre letzte E-Mail liegt allerdings Wochen zurück.Meine Frau Mellab und ich kamen 2005 aus einem Dorf in Westkenia nach Nairobi. Wir konnten unsere Familie nicht mehr ernähren und wohnen jetzt in Kawangware, einem Slum mit mehr als 600.000 Menschen. Wir haben sogar einen kleinen Fernseher, aber das Geld ist knapp. Als unsere Tochter zum Arzt musste, konnten wir die 22 Euro Miete nicht zahlen. Der Besitzer verriegelte für ein paar Tage die Hütte als Warnung. Ich schäme mich für meine Geldnöte, aber seit 2009 haben sich die Preise für Zucker, Reis und Maismehl verdreifacht. Als Tagelöhner auf dem Bau verdiene ich nur zwei Euro, an zwei Tagen pro Woche. Mellab putzt, kocht und wäscht in einem Reichenviertel. Sie verdient mehr als ich, das wäre auf dem Dorf eine Schande für mich als Versorger.
Unser Geld reicht trotzdem immer nur bis zum nächsten Tag. Mein Stamm würde eine Zweitfrau erlauben, aber nur, wenn ich für sie sorgen kann. Meine Eltern wissen nichts von meinem Plan. Als ich Mellab davon erzählte, war sie wütend und enttäuscht. Sie weint jetzt oft und fleht, ich solle sie nicht vergessen. Ich hoffe noch, dass sich ein anderer Weg auftut. Seit ein paar Jahren schreibe ich Gedichte. Für Frieden, gegen Polizeiwillkür und Korruption. Ich nehme an kleinen Festivals teil. Vielleicht entdeckt mich hier jemand, der bereit ist, für meine Bildung zu bezahlen. Dann nehme ich die Anzeigen sofort aus dem Netz.
Walter Keyombe, 31, lebt in Nairobi, Kenia.
Vom Busfahrer zum Lehrer
Ich war der erste asiatische Lehrer in Bristol. Darauf bin ich stolz. Früher habe ich als Busfahrer gearbeitet, aber ein Bekannter sagte immer wieder zu mir: Du musst Lehrer werden. Ich habe mich also weitergebildet, als Tutor angefangen und schließlich selbst Englischkurse speziell für Asiaten angeboten. Bildung ist sehr wichtig. Sie erweitert den Horizont und das Verständnis für andere Kulturen und Religionen.
Immer wenn ich meine Familie in Pakistan besuche, freue ich mich sehr, sie zu sehen, aber ich merke auch, wie groß die Unterschiede zwischen uns sind und dass ich mir nicht mehr vorstellen kann hier zu leben. Ich bin immer noch sehr religiös und der Islam ist Teil meiner Identität, aber ich sehe mich nicht mehr als Pakistani. Hier in England lebe ich zusammen mit meiner Frau und meinen vier Kindern. Meine Frau haben meine Eltern für mich ausgesucht, das ist Teil der pakistanischen Tradition. Meine zwei Töchter dürfen aber selbst entscheiden, wen sie heiraten möchten. Ich könnte ihnen auch jemanden zum Heiraten suchen, aber keinen Mann aus Pakistan, das würde nicht passen. In England leben sehr viele Pakistanis, viele von ihnen haben ihre alte Identität bewahrt und halten sich fern von der englischen Kultur. Ich hoffe, das ändert sich in den folgenden Generationen, die hier geboren werden. Ich wünsche mir, dass es eine stärkere Vermischung der Kulturen gibt. Aber davon sind wir noch weit entfernt, und solange die Kinder, die hier geboren werden, weiterhin innerhalb ihrer Kultur heiraten, wird sich nichts ändern. Die Frage, was es für mich heißt, ein Mann zu sein, habe ich mir nie wirklich gestellt. Vom „pakistanischen Mann“, der seinen alten Traditionen verhaftet geblieben ist, ist wohl nicht mehr viel in mir. Ich möchte aber nicht in eine Schublade gesteckt werden, weder als „Mann“ noch als „Pakistani“ oder „britischer Pakistani“, sondern einfach ich selbst sein.
Zahnek Mahlen, 56, lebt in Bristol, England.
Einmal weinen
Seit ich nach Italien gekommen bin, kann ich kein normales Leben führen. Vor zwölf Jahren ließ ich mich in Caracas in Venezuela als Drogenkurier anheuern, nachdem meine Firma pleitegegangen war. Ich wollte schnelles Geld machen, mit den Drogen nach Italien fliegen und sofort wieder zurückkehren. Aber ich wurde am Zoll festgenommen und kam ins Gefängnis. Nach meiner Entlassung sollte ich abgeschoben werden. Ein Anwalt half mir, das zu verhindern. Eine Arbeitserlaubnis bekam ich nicht. Trotzdem hatte ich immer Jobs: auf einem Autofriedhof, in einer Gebrauchtwarenhandlung oder als Fischer. Aber vom schwarz- arbeiten kann man nicht gut leben. Als „Illegaler“ wird man ausgebeutet und kann seine Rechte nicht geltend machen, das ist schrecklich. Ich fühle mich oft wie gefesselt. Einmal hatte ich einen schweren Unfall. Normalerweise würde mir Schadensersatz zustehen, aber ich traue mich nicht, zur Polizei zu gehen, weil ich Angst habe, dass sie mich wieder in Abschiebehaft steckt. Besonders schlimm war es, als sich meine Frau in Venezuela von mir trennte, während ich im Gefängnis saß. Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. In meiner Heimat sorgt der Mann für seine Familie. Diese Rolle nicht mehr erfüllen zu können, ist hart. Aber ich habe hier ohnehin genug andere Sorgen.
Am liebsten würde ich einfach mal weinen. Aber das konnte ich bisher nie. Nicht, weil ich denke, Männer dürfen nicht weinen. Es geht einfach nicht. Manchmal bewundere ich mich dafür, wie ich mit meiner Situation umgehe. Eigentlich könnte man erwarten, dass ich auf der Straße lebe, dass ich schlampig und dreckig bin. Aber so will ich nicht sein. Niemand, der mich sieht, würde denken, dass ich das durchmache, was ich durchmache. Ich kleide mich anständig und wohne in Häusern von Hilfsvereinen. Auch wenn mir Geld, Essen, ein eigenes Dach über dem Kopf oder auch eine Frau noch so sehr fehlen – was ich nicht haben kann, habe ich eben nicht. Ich kann nichts daran ändern. Vielleicht bietet sich mir morgen eine Chance.
Leonardo Bianco Peché, 38, lebt seit 2000 in Italien.
Kleine Männer, große Frauen
In Deutschland haben es die Männer schwer. Hier kannst du deiner Frau nicht einfach sagen: „Schatz, kannst du mir mal Tee bringen.“ Nein, du musst ihn dir selbst holen. Und so kommt es zum Streit. Ich spreche aus eigener Erfahrung. Meine Frau hat mich verlassen, nachdem wir zehn Jahre verheiratet waren. Nach unserer Hochzeit in der Türkei ist sie mit mir nach Deutschland gekommen, wo ich damals als Fernsehtechniker gearbeitet habe. Ich habe ihr alles gegeben und alles mit ihr geteilt. Sie hat den Führerschein und eine Ausbildung gemacht. Trotzdem ist sie fremdgegangen und hat mich verlassen. Das hat mich sehr verletzt. In Deutschland kann eine Frau zehn Männer haben, das scheint hier ganz normal zu sein. In meinem Dorf Varto in der Türkei gab es so etwas nicht. Auch keine Trennungen. Bei uns wird eine Frau wie ein Schatz behandelt. Wenn meine Eltern sich gestritten haben, haben sie sich sofort wieder vertragen. Dort bleibt man für immer zusammen.
Aber in Deutschland haben Frauen zu viele Rechte, das hat sie hochnäsig werden lassen. Sie sind einfach zu anspruchsvoll. In Deutschland sind die Männer ganz klein und die Frauen ganz groß. Als meine Frau mich rausgeschmissen hat, wusste ich nicht, wohin. Es gibt zwar Frauenhäuser, aber Männer haben niemanden, an den sie sich in solchen Fällen wenden können. Wenn eine Frau sich von ihrem Mann trennt, bekommt sie Kindergeld, Wohngeld und vor Gericht glaubt man ihr, wenn sie sagt, „mein Mann hat mich geschlagen“. Sogar meine Kinder haben gesagt: „Was unsere Mutter gemacht hat, ist nicht richtig, aber wir leben in Deutschland, und hier kann eine Frau machen was sie will.“ Für uns Männer ist das schwer. Keiner hilft uns. Auch ich habe mich damals hilflos gefühlt. Vor acht Monaten bin ich dann zu einer türkischen Vätergruppe gestoßen. Hier können Männer wie ich hinkommen, wenn sie Probleme haben, und es wird nach Lösungen gesucht.
Milazim Çetkin, 53, kam 1975 nach Deutschland. Er lebt in Berlin.