24 Thesen über einen ausländischen Vater
1. Ein ausländischer Vater ist immer größer als groß.
2. Lachen Sie ruhig über einen ausländischen Vater. Aber nur in seiner Gegenwart und wenn keine einheimische Person anwesend ist.
3. Glauben Sie einem ausländischen Vater immer, wenn er erklärt, die Namen von Blumen, Vögeln oder Bäumen nicht zu kennen.
4. Gleiches gilt für Beeren, Pilze und alles, was Automotoren betrifft.
5. Denken Sie sich den Haarwuchs an Armen und Beinen weg, denken Sie sich die Satzmelodie und falsch platzierte Pronomen weg. Denken Sie sich die Schwäche für Knoblauch, Tomatensauce und extrem süßes Backwerk weg. Ein ausländischer Vater ist immer noch ein ausländischer Vater.
6. Niemand riecht wie ein ausländischer Vater.
7. Ein ausländischer Vater besteht aus vielen Teilen – wie andere Väter auch. Darüber hinaus gibt es jedoch Stellen am Körper eines ausländischen Vaters, die seine fremde Herkunft offenbaren:
DIE AUGENBRAUEN. Über den Augen zeichnet sich ein Horizont aus Haaren ab, samten wie gelecktes Katzenfell, der deutlich sichtbar in die Schläfen übergeht. Der Linie fehlen Anfang und Ende. Die Senke in der Mitte verleiht ihm allerdings etwas Vertrautes, ja Intimes. Hier befindet sich sein zerbrechliches Zentrum, die Verankerung für die Kurven, die sich wie Schwingen mit langen, schleifenden Flossen wölben.
DIE OHRLÄPPCHEN. Es lässt sich nicht leugnen: Die Ohren eines ausländischen Vaters sind groß. Die Ohrmuschel hat die gleiche Größe wie die f-förmigen Löcher einer Kindergeige, der Gehörgang ist tief wie ein Krater. Seit eins der Kinder eines ausländischen Vaters versuchte, die Tiefe mit einem Bleistift zu vermessen, wird jedoch niemandem mehr erlaubt, seine Geheimnisse zu erforschen. Am größten sind allerdings die Ohrläppchen. Daumenbreit, scheinen sie immer weiter zu wachsen und zu wachsen.
DAS KREUZ. Der Rücken eines ausländischen Vaters ist ungewöhnlich lang, wodurch die Hüften heruntergerutscht erscheinen. Außerdem ist er gerade und straff. Am ehesten ähnelt er einer Säule. Ein ausländischer Vater geht immer aufrecht, mit mehr Gewicht auf der Vorderseite des Körpers als auf der Rückseite. Seine Haltung vermittelt ein Gefühl von Zuverlässigkeit, wie bei einem Kirchenstuhl.
DAS GESCHLECHT. Der Beutel zwischen den gewölbten Oberschenkeln ist gerundet und prall gefüllt, in gewisser Weise weder zu eng, noch zu groß, einfach perfekt. Er wird jedes Mal sichtbar, wenn sich ein ausländischer Vater vor dem Badezimmerspiegel die Zähne putzt, ein Satyr in Eminences Siebzigerjahre-Unterhosen.
DIE FERSEN. Die Füße eines ausländischen Vaters werden weder von eleganten Flügeln geziert noch weisen sie Abdrücke von den Handgriffen einer Mutterauf. Sie haben im Gegenteil mehr mit Bauern gemein als mit Hermes oder Achill. Die Fersen schieben sich eine Spur nach hinten, als wünschte er, den Schwerpunkt auf einer größeren Fläche als erforderlich zu verteilen. Im Grunde sind sie wandelnde Brückenpfeiler.
8. Für einen ausländischen Vater ist die Anpassungsfähigkeit der Kinder ein Grund zum Jubeln und zum Fluchen. Jedes Beispiel dafür zeigt, dass er erfolgreich gewesen ist. Jedes Beispiel dafür zeigt auch, dass er gescheitert ist.
9. Ein ausländischer Vater verteilt gerne Geschenke. Im Laufe der Jahre schenkt er seiner Frau Apfelsinenschnitze, Halsketten, Ölgemälde, Feigen, achtzehn Esstischstühle, eine Skulptur, Gedichte, Schals, zwei Hunde, Trauben, Treibholz, Rosen, ein Auto, Sonnenhüte, Steine, Hibisken, Pfirsiche, einen Pelzmantel, noch mehr Gedichte, Abendkleider, Schnecken, Granatäpfel, einen Olivenhain. Wenn ein ausländischer Vater sich nicht besinnt, denkt er daran, seiner Frau auch vier Kinder zu schenken. Aber ein ausländischer Vater besinnt sich.
10. Ein ausländischer Vater spricht an öffentlichen Orten oft zu laut. Dies wird besonders deutlich, wenn er einen jugendlichen Sohn um Hilfe bitten will.
11. Wenn ein ausländisch-er Vater dem Blick seines Sohnes in dem Geschäft begegnet, in dem sie neue Fußballschuhe kaufen wollen, kann er sich selbst nicht erinnern, jemals so unerbittlich ausgesehen zu haben. Er zieht das Portemonnaie heraus. Plötzlich hat ein ausländischer Vater beschlossen, nicht zu feilschen.
12. Ein ausländischer Vater spricht niemals schlecht über andere Menschen. Er macht sich höchstens über sie lustig.
13. Die Hände eines ausländischen Vaters. Es klingt merkwürdig, aber: Sie ereignen sich.
14. Ein ausländischer Vater gesteht bereitwillig, dass er eventuell einen Fehler begangen hat. Er wird jedoch das Gefühl nicht los, dass dies, wenn es denn so ist, Teil eines unbekannten Plans ist. Deshalb lächelt ein ausländischer Vater, wenn er hilflos die Hände ausbreitet und gleichzeitig mit dem Kopf nickt. „Was soll ich sagen?“
15. Ein ausländischer Vater lügt nie. Aber er berichtigt andere auch nicht, wenn sie sich Dinge einbilden, nur weil er nicht dazu gekommen ist, alles zu sagen.
16. Ahmen Sie einen ausländischen Vater niemals in seiner Sprache nach. Ahmen Sie auch nicht die Eigenheiten eines ausländischen Vaters nach. Zum Beispiel seine Art, in gewissen Situationen seine Zunge zu benutzen. Sonst kann es vorkommen, dass die Hände eines ausländischen Vaters sich ereignen.
17. Einem ausländischen Vater gelingt das Kunststück, gleichzeitig umständlich und direkt zu sein.
18. Wenn ein ausländischer Vater einem jugendlichen Sohn etwas klarmachen will, worüber er keine Diskussion zuzulassen gedenkt, sagt er: „Lass uns hinausgehen, damit uns der Himmel sehen kann.“
19. Ein ausländischer Vater, der Geschichten über sich erzählt, die sich bei genauer Betrachtung als widersprüchlich herausstellen oder bei denen sich zeigt, dass ihnen eine Dimension fehlt, erkennt, dass in der Vergangenheit Leerstellen entstanden sind. Ein ausländischer Vater weiß, daran kann er nichts ändern. Aber er wünscht sich, dass ein Sohn eines Tages selbst auf die Idee kommen wird, die Türen zu gewissen Räumen geschlossen zu lassen. Aus diesem Grund beschließt ein ausländischer Vater, seine Kinder nicht mit Worten, sondern mit Taten zu erziehen.
20. Wenn ein ausländischer Vater und seine ausländische Frau aus verschiedenen Ländern kommen und sich in einem dritten ansiedeln, kommt es vor, dass er darüber nachdenkt, was wohl passiert wäre, falls sie in einem dieser Heimatländer gewohnt hätten. Er spürt das Wasser tiefer werden, er ahnt Bewegungen dort unten. Unerwartet freut sich ein ausländischer Vater, dass sie in einem dritten Land leben. So lernen sie voneinander, auf dem Wasser zu gehen.
21. Fragen Sie nie, wozu ein ausländischer Vater gut ist. Fragen Sie stattdessen, wozu er nicht gut ist. Wenn Sie keine Antwort erhalten, haben Sie verstanden, was ein ausländischer Vater ist.
22. Ein ausländischer Vater, der mit seiner Familie eine Sonnenfinsternis beobachten will, verteilt Fotonegativstreifen. Während die anderen über die Scheibe staunen, die sich langsam vor den Himmelskörper schiebt, schaut sich ein ausländischer Vater um. Die Welt erscheint ihm unerwartet falsch. Die Fichten sind silbrig gelb, das braune Sommerhaus ist schwarz wie Motoröl. Deshalb kehrt ein ausländischer Vater ins Haus zurück. Während er in einer Zeitung blättert, wartet er darauf, dass die Welt wieder so wird wie zuvor. Ein ausländischer Vater will überrascht werden. Aber nicht aus Versehen. Die Sonne soll Sonne bleiben, die Welt Welt.
23. Ein ausländischer Vater hat etwas, das ein jugendlicher Sohn nicht verleugnen kann, so rebellisch er bisweilen auch sein mag. Auch wenn das Herz ein schwarzes Dickicht geworden ist, findet ein ausländischer Vater den Weg hinein. Er spricht über andere Dinge, lacht und ist vertraulich, ehe er das Gespräch langsam auf das Wichtige zurückbringt. Oder er senkt die Stimme und wird herzlich – sie beide gegen den Rest der Welt. Ein ausländischer Vater achtet aufmerksam auf alles, was ein Sohn wollen kann, ohne dafür eine Gegenleistung zu verlangen. Am Ende bleibt dem Rebellen nur, diese Bereitwilligkeit anstößig zu finden und in Nebensätzen, so scharf wie Rasierklingen, nicht wiedergutzumachende Verletzungen zuzufügen. Daraufhin hebt ein Vater die Hände über den Kopf. Und sagt: „Ich werde verschwinden. Was willst du mehr?“
24. Die Hände eines ausländischen Vaters lehren einen Sohn, wie man mit einem Menschen haushält.
Aus dem Schwedischen von Paul Berf