Feminismus & Pop | Tunesien

„United Colors of Emel“

Die tunesische Musikerin Emel Mathlouthi bewegt sich zwischen Genres und Sprachen. Jetzt hat sie ein Album nur mit Frauen produziert. Ein Gespräch über Metal, Feminismus und die arabische Sprache
Die tunesische Sängerin Emel Mathlouthi steht am Mikrofon vor dunklem Hintergrund. Sie trägt ein extravagantes Kleid mit vielen rosa Rüschen und glitzerndem Haarschmuck. Beim Singen breitet sie dramatisch die Arme aus.

Die Musikerin Emel Mathlouthi während ihrer Performance auf dem Open-Air Musikfestival Durchlüften in Berlin, August 2024.

Das Interview führte Atifa Qazi

Mit dem Song „Kelmti Horra“ (Mein Wort ist frei) sind Sie während der Proteste des Arabischen Frühlings 2011 in Tunesien zu einem Symbol des Widerstands geworden. In Anspielung auf die Grande Dame des libanesischen Gesangs hat man Sie auch als die Fairuz der neuen Generation bezeichnet. Wie würden Sie Ihre Musik beschreiben?

Diese Frage beschäftigt mich bis heute. Ich hatte stets das Gefühl, mehrere Persönlichkeiten und Identitäten zu besitzen und so auch von verschiedenen Genres beeinflusst zu sein. Meine Eltern spielten mir Beethoven und Mozart vor, klassische Musik ist ein wichtiger Teil von mir. Das ist meine westliche Seite.

Gleichzeitig habe ich die Schönheit unserer traditionellen Instrumente und Rhythmen entdeckt, die ebenfalls zu mir gehören. Wer aus der arabischen Welt und Nordafrika kommt, hat es schwer, wirklich er oder sie selbst zu sein und außerhalb des westlichen Narrativs über den exotischen Tunesier akzeptiert zu werden.  

Fairuz hat mich inspiriert, weil sie Genres vermischt und eine moderne Musik geschaffen hat, die gleichzeitig tiefgründig ist.  

Meine erste Band war nicht zufällig eine Metal-Band. In diesem Genre und im Rock findet man die Außenseiter – die Leute, die nein sagen. Meine Musik würde ich definitiv als widerständig oder revolutionär bezeichnen. Neben den Texten motivieren auch die Rhythmen dazu, zu handeln und sich aufzubäumen.

Spüren Sie eine Verantwortung, über Ihre Musik Position zu beziehen? 

Ich empfinde das nicht als Verantwortung. Es ist ein Instinkt. Beim Soundcheck wird mir klar, dass meine Musik mich kämpferisch macht. Ich wollte schon immer meine Umgebung verändern. Wir sind alle auf der Suche nach einem Ziel, einer Aufgabe. Meine ist es, den Menschen zu nützen, ihnen die Wahrheit zu zeigen und mich für eine gerechtere Gesellschaft einzusetzen. 

Arabisch habe ich eher vermieden, weil ich Musik in dieser Sprache mit einer gewissen Art von Unterdrückung verbinde

 Im Moment erleben wir weltweit viel Ungerechtigkeit und grausame Kriege. Ich versuche, damit umzugehen, indem ich mit meiner Stimme und meiner Musik präsent bin und etwas Licht, Wahrheit und Empathie vermittle. 

Sie singen in verschiedenen Sprachen, vor allem auf Arabisch, aber auch auf Englisch, Kurdisch oder Französisch. Warum? 

Wer in Tunesien aufwächst, spricht automatisch mehrere Sprachen. Da das Land am Mittelmeer liegt, sind im Laufe der Jahrhunderte viele Kulturen und Menschen hindurchgezogen. Unser Arabisch ist ein Dialekt, der viele Fremdwörter aus dem Türkischen, Französischen und Spanischen enthält.

Außerdem sprechen wir Französisch, unsere Zweitsprache, die wir uns nicht ausgesucht haben, aber in Schulen und im Alltag präsent ist. Ich singe selten auf Französisch, weil es mir eher für Literatur, Poesie und andere Texte geeignet erscheint als für den Gesang.  

In meiner Metal-Band habe ich zuerst auf Englisch gesungen. Arabisch habe ich eher vermieden, weil ich Musik in dieser Sprache mit einer gewissen Art von Unterdrückung verbinde – der Unterdrückung durch Diktatoren, auch in meinem eigenen Land.

Arabische Musik kann sehr kodifiziert sein, und da ich auf keiner offiziellen Musikhochschule war, widerstrebte mir das Bild einer Frau als Bühnendiva, für die Männer komponieren, während sie nur singt und den Regeln folgt. Ich wollte meine eigene Musik schreiben. In der Musik habe ich nach Freiheit gesucht. 

Aber inzwischen singen Sie auch auf Arabisch… 

Ich habe mich schließlich für Arabisch entschieden, weil die Sprache und die Musik so schön sind. Ich habe meinen eigenen Weg gefunden, ich muss es nicht so wie Umm Kulthum oder wie Fairuz machen. Dass ich aus Tunesien stamme, gibt dem Ganzen noch eine andere Wendung. Bei uns kommen europäische und afrikanische Einflüsse dazu, die sich vermengen, und so habe ich eine neue Art entwickelt, auf Arabisch zu singen und zu schreiben. Neuerdings mische ich auch wieder Englisch hinein. 

Ihr aktuelles Studioalbum „MRA“ – das im tunesischen Arabisch Frau bedeutet – wurde ausschließlich von Frauen produziert. Wie kam es dazu? 

Ich war bei einer Plattenfirma unter Vertrag, und sie wussten nicht so recht, was sie mit mir anfangen sollten. Sie stellten mir einen Produzenten zur Seite, dessen Arbeit mir nicht gefiel. Ich habe mich gefragt, warum es immer ein Mann sein musste. Was wäre, wenn ich Aufnahmen mit einer Produzentin machen würde?

Wenn man sich als Feministin betrachtet, reicht es nicht, nur ein schönes Bild einer unabhängigen, kreativen und starken Frau abzugeben

Als ich mich umhörte, stellte sich das als eine ziemliche Herausforderung heraus. Ich bin aber hartnäckig und wollte nicht glauben, dass Frauen in diesem Bereich weniger kompetent sind als Männer. Ich habe recherchiert und schließlich meine Mitstreiterinnen gefunden, eine nach der anderen, und jede brachte ihre eigene, individuelle Note auf dem Album ein. 

Wir sind eine bunt gemischte Truppe von etwa dreißig Frauen aus zwanzig verschiedenen Ländern, darunter China. Meine wichtigste Koproduzentin ist halb Inderin und kommt aus Berlin, eine andere ist Brasilianerin. Wir haben auch die schwedisch-irakische Rapperin Nayomi und Frauen aus der Ukraine und dem Iran dabei.

Ich liebe diese Vielfalt. Die Frauen nennen es scherzhaft „United Colors of Emel“, und genauso sehe ich Musik. Diesmal wollte ich nicht nur mich selbst präsentieren. Wenn man sich als Feministin betrachtet, reicht es nicht, nur ein schönes Bild einer unabhängigen, kreativen und starken Frau abzugeben. Echter Feminismus bedeutet mehr als das. Er bedeutet, anderen Frauen Chancen zu eröffnen und die eigene Plattform zu teilen. 

Wie frustrierend ist es, all dies in einem Umfeld zu tun, das durch Sexismus und patriarchale Strukturen geprägt ist?

In meiner Naivität dachte ich, die Welt müsste sich über ein zu hundert Prozent von Frauen gemachtes Album freuen. Doch wir wurden nirgends gefeiert, was ein Schlaglicht auf ein größeres Problem wirft: Die Welt will offenbar keine lauten Frauen. Sie bevorzugt Frauen, die wie Männer denken. Es gibt viele brillante Frauen, die fantastische Arbeit leisten, und im Vergleich zu vor zehn oder zwanzig Jahren wurden Fortschritte gemacht. Aber es reicht immer noch nicht.  

Mir wurde klar, dass ich nicht alles an Mainstream-Musik hasse. Ich mag es, wie effizient einige Tracks sind

Unbewusst fühlen wir uns manchmal unsicher, wenn eine Frau hinter dem Mischpult steht. Wir sind es gewohnt, Musikerinnen wie Streicherinnen zu sehen, aber Produzentinnen und Rapperinnen sind seltener, und PoC-Produzentinnen und -Rapperinnen noch seltener. Für mich war entscheidend, dass meine Plattform Repräsentation garantiert.

Frauen sind in der Musikindustrie unterrepräsentiert und bekommen weniger Chancen. Musikerinnen of Color und Transpersonen haben es sogar noch schwerer. Ich habe für das Album auch mit einer Transfrau, einer Produzentin aus Südafrika, zusammengearbeitet.

Auf Ihrem Album experimentieren Sie mit verschiedenen Genres wie Rock, Afrotrap, arabischem Reggaeton und Rap. Ist das das Ergebnis der Zusammenarbeit mit internationalen Künstlerinnen?

Bei jedem Album möchte ich etwas Neues ausprobieren. Diesmal habe ich mich für ein Pop-Album entschieden. Ich wollte etwas Zugänglicheres produzieren. Für mich heißt „zugänglich“ einfach, ins Herz zu treffen. Ich wollte mit verschiedenen musikalischen Codes spielen und hatte eine Playlist mit Mainstream-Popsongs, die ich mochte.  Mit Liedern von Taylor Swift, Charli XCX, Ye (ehemals Kanye West) und anderen.

Mir wurde klar, dass ich nicht alles an Mainstream-Musik hasse. Ich mag es, wie effizient einige Tracks sind. Ich liebe die Beats und Rhythmen, und manchmal sind die einfachsten Tracks die wirkungsvollsten, weil sie einen dazu bringen, sich auf eine intuitive Art zu bewegen. Das war mein Ziel – ich wollte meinen eigenen Stil kreieren, aber Musik machen, die wirklich ankommt, die Leute in Bewegung setzt.