Proteste | Türkei

Pikachu, ich wähle dich!

Pikachu ist zum Symbol der Türkei-Protestbewegung geworden. Doch das Pokémon hat bereits eine internationale Polit-Karriere hinter sich

Pikachu ist das Aushängeschild des japanischen Pokémon-Franchise

Pikachu, ich wähle dich! Jedes Kind, das in den 2000er Jahren hingebungsvoll Pokémon vor der Glotze verfolgte, kennt diesen Spruch. Pikachu, das loyale, von Zeit zu Zeit elektrifizierte, gelbe Maus-Pokémon ist bis heute nicht nur das Aushängeschild des japanischen Franchise, sondern macht auch politische Schlagzeilen: Diese Woche ist es in der Türkei zum Symbol des Widerstands geworden, als ein Video des 21-jährigen Demonstranten Hasan Taşkan viral ging, der in einem aufblasbaren Pikachu-Kostüm vor der türkischen Polizei in Antalya floh. Der Fitness-Influencer wollte die Protestierenden zum Lächeln bringen, wie er dem Spiegel sagte, für Pikachu habe er sich entschieden, „weil es sehr niedlich, sehr beliebt und in gewisser Weise am populärsten ist.“

Seit Wochen protestieren Menschen in der Türkei gegen Erdogan und fordern die Entlassung des Istanbuler Oberbürgermeisters, Erdogan-Gegners und Präsidentschaftskandidat der Opposition Ekrem Imamoğlu aus dem Gefängnis. Seit dem Video hat sich Pikachu zum Maskottchen der Protestbewegung entwickelt: Kinder tragen Stofftiere in Form des Pokémons und malen es auf ihre Demo-Schilder. Die Regierung bezeichnet die Instrumentalisierung von Pikachu bei CNN Türk bereits als „psychologische Kriegsführung.“

„1999 wurde das Elektro-Pokémon vom Time-Magazin auf Platz 2 der besten Personen des Jahres gewählt“

Doch wer denkt, dass dies der Beginn der politischen Karriere von Pikachu ist, irrt gewaltig. 1999 wurde das Elektro-Pokémon vom Time-Magazin auf Platz 2 der besten Personen des Jahres gewählt, 2003 rangierte es auf Platz 8 der Forbes-Liste der Top-verdienenden fiktiven Figuren. 2016 wurde die beliebte Blitzmaus in Hongkong vom kapitalistischen Hit zum Protestsymbol: In China waren Videospielkonsolen zuvor 15 Jahre lang verboten gewesen, während das damals noch weitgehend autonome Hongkong schon lange mit Pikachu vertraut war. Als China 2016 seinen Markt für Videospiele öffnete, sollte das bis heute beliebte Pokémon offiziell in ganz China einen Mandarin-Namen erhalten; der in Hongkong gebräuchliche kantonesische Name (比卡超 Bei-kaa-chyu) sollte verschwinden. Die Menschen in Hongkong gingen daraufhin wütend auf die Straße, weil sie die Umbenennung Pikachus als Angriff auf ihre Unabhängigkeit und Kultur wahrnahmen. Auch 2019 war das Pokémon wieder auf den Hongkonger Protesten gegen die Regierung in Peking zu sehen.

2021 wurde auf der anderen Seite des Atlantiks die chilenische Politikerin Giovanna Grandón als Tía Pikachu (Tante Pikachu) berühmt, als sie - wie ihr türkischer Bruder im Geiste - in einem aufblasbaren Pikachukostüm bei den linken Massenprotesten zwischen 2019 und 2021 mitmarschierte. Aufgrund seiner Fähigkeit Elektrizität zu produzieren, steht Pikachu nicht nur für gesellschaftliche Entladung, sondern auch für saubere Energie: sowohl 2021 in Glasgow als auch 2024 in Dubai tauchten Klima-Demonstrierende im Pikachu-Look auf, um für den Kohleausstieg Japans zu demonstrieren. Das Pokémon ist und bleibt eine popkulturelle Polit-Ikone.