Journalismus in Jemen extrem gefährdet
Zehn Jahre Krieg und Zerstörung haben die Grenzen zwischen den Einflusssphären der Kriegsparteien im Jemen immer wieder neu gezogen. Gegenwärtig stehen mehr als sechzig Prozent des Staatsgebiets unter der Herrschaft der international anerkannten Regierung, die von Saudi-Arabien unterstützt wird. Die Huthi-Bewegung dagegen kontrolliert etwa 30 Prozent der Fläche des Jemen, darunter allerdings sehr dicht besiedelte nördliche Landesteile und die Hauptstadt Sanaa.
Zum Teil beherrschen die Kriegsparteien sogar unterschiedliche Gebiete innerhalb ein und desselben Gouvernements. Besonders extrem ist die Situation in Taizz im Süden, wo die Frontlinien zwischen den verfeindeten Lagern kreuz und quer verlaufen, sogar mitten durch die Großstadt Taizz selbst.
Der Jemen ist ein zerrissenes Land. Selbst in den Gebieten, die nominell der Herrschaft der Zentralregierung unterstehen, haben verschiedene Akteure das Sagen. Dazu gehören unter anderen: die Al-Islah-Partei, die den Muslimbrüdern nahesteht; die Truppen von Tareq Mohammed Abdullah Saleh, einem Neffen des früheren Präsidenten Ali Abdullah Saleh, der von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterstützt wird; sowie der separatistische Südliche Übergangsrat, der die Abspaltung des südlichen Landesteils anstrebt und ebenfalls von den VAE unterstützt wird.
Wo Journalismus lebensgefährlich ist
Wenn ich nach der Situation der Medien im Jemen gefragt werde, überkommt mich regelmäßig ein Gefühl der Beklemmung. Dann werden Erinnerungen in mir wach, von denen ich mich nur zu gern befreien würde.
Aber wie sollte ich die Bilder der Leichen von Journalistinnen und Journalisten aus dem Kopf bekommen, die auf der Straße in ihrem Blut liegen? Wie das Donnern der Huthi-Artillerie vergessen, als sie 2014 in Sanaa das Gebäude des staatlichen Fernsehens beschossen? Die Bilder von Kollegen verdrängen, die ihre Arbeit verloren haben und sich nun als Straßenhändler durchschlagen oder sich auf dem Bau verdingen?
Wie gefährlich es für Journalisten ist, das variiert von Ort zu Ort, je nachdem, wer jeweils das Sagen hat. Am gefährlichsten sind die von der Huthi-Bewegung kontrollierten Gebiete. Aber auch in den Städten, die der Regierung unterstehen, können sich Journalistinnen und Journalisten nicht sicher fühlen und frei bewegen.
Städte wie Marib, das faktisch von der Al-Islah-Partei beherrscht wird, und Aden, wo der Südliche Übergangsrat die Kontrolle hat, sind auch kein Hort der Pressefreiheit. Wer dort die Machthabenden kritisiert, sei es als Journalistin oder als Social-Media-Aktivist, muss damit rechnen, verschleppt oder inhaftiert zu werden. Oft werden völlig willkürliche Anschuldigungen erhoben, etwa, ein Terrorist zu sein oder Religion und Armee zu missachten. Dennoch ist dort das Risiko im Vergleich zu den Huthi-Gebieten insgesamt geringer.
Der Anführer der Huthi-Bewegung, Abdul-Malik al-Huthi, hetzte im September 2015, am ersten Jahrestag ihrer Machtübernahme in der Hauptstadt Sanaa, im Fernsehen gegen Medienschaffende. Er bezeichnete sie als „Verräter und Handlanger, von denen eine noch größere Gefahr ausgeht als von feindlichen Kämpfern an den Kriegsfronten“. Er gab seinen Kämpfern den unmissverständlichen Befehl, gegen solche Elemente vorzugehen.
Tatsächlich folgte eine Welle von Razzien und Verhaftungen. Die Huthi-Rebellen brachten die staatlichen Medien unter ihre Kontrolle und verboten sämtliche nicht-staatlichen Medienorganisationen. Es gab Morde, Todesurteile und Entführungen von Medienschaffenden – Angriffe auf die Pressefreiheit, wie man sie so geballt kaum je zuvor erlebt hat. Verrohung und Terror haben in Sanaa Einzug gehalten. Wir erkennen die Stadt nicht mehr wieder. Alle Stimmen in ihr werden vom Lärm der Huthi-Bewegung übertönt.
Ein Arbeitsumfeld permanenter Unsicherheit
Einem Bericht der in Paris ansässigen Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) zufolge hat der Jemen 2024 im internationalen Index der Pressefreiheit den Platz 154 belegt. Bereits 2016 hatte RSF die Huthi-Bewegung auf Rang 2 der Hauptverantwortlichen für Verbrechen gegen Journalistinnen und Journalisten gesetzt, direkt nach der Terrororganisation Islamischer Staat (IS). „Die Liste von Übergriffen auf Medienschaffende im Jemen ist beispiellos: Morde, Prügel, Entführungen, Einschüchterungen, Inhaftierungen, Todesurteile“, resümiert ein Bericht der Vereinten Nationen zur Lage des Journalismus im Jemen.
Laut dem Berufsverband für Medienschaffende, dem Yemeni Journalists Syndicate (YJS), wurden seit 2011 fünfzig Journalistinnen und Journalisten getötet, darunter etliche vorsätzlich. Auch der YJS-Verband selbst blieb nicht von Übergriffen verschont. Die Huthis schlossen die Zentrale des Verbandes in der Hauptstadt Sanaa und froren die Verbandskonten ein.
Im Juni dieses Jahres wurde in Sanaa auf den YJS-Generalsekretär Mohammed Shubaita geschossen. Die genauen Umstände dieses Vorfalls, bei dem sein Cousin getötet wurde und er selbst schwere Verletzungen davontrug, sind bis heute nicht geklärt. Shubaita befindet sich noch zur medizinischen Behandlung in Jordanien, während die Huthis jede gerichtliche Untersuchung des Vorfalls blockieren.
Blutiges Szenario
Auf Mahmoud al-Atmi, Korrespondent für die Nachrichtensender Al-Arabiya und Al-Hadath in Aden, wurde ein Mordanschlag mit einer Autobombe verübt. Seine Frau, die Fotojournalistin Rasha al-Harazi, und ihr ungeborenes Kind kamen dabei ums Leben. Er selbst erlitt schwerste Verletzungen. Er berichtet: „Am 9. November 2021, nur wenige Stunden bevor meine Frau Rasha und ich unser zweites Kind erwarteten, wurden wir Opfer eines abscheulichen Terroranschlags. Unser Auto explodierte auf dem Weg ins Krankenhaus, wo unser Kind zur Welt kommen sollte.“
Mahmoud al-Atmi macht die Huthi-Miliz für das Verbrechen verantwortlich: „Einige Tage vor dem Anschlag erhielt ich Informationen, dass Huthis Erkundigungen über meine politische Ausrichtung einholten, darüber wo ich wohnte und wo ich mich sonst noch aufhielt.“
Inzwischen konnte die Polizei in Aden laut al-Atmi einige Tatverdächtige festnehmen. Diese gestanden, den Anschlag verübt zu haben und zu einer Terrorzelle zu gehören, die in der südjemenitischen Region um Aden und Lahidsch operiert. Al-Atmi erklärt, dass dieselben Täter bereits 2020 an der Ermordung des AFP-Fotografen Nabil Hasan al-Quaety in Aden beteiligt gewesen seien. Mitte Juni 2022 kam auch der Journalist Saber al-Haidari durch eine Autobombe um.
Todesurteile und Folter
Abgesehen von solchen Morden hat die Huthi-Bewegung seit ihrer Machtergreifung im Jahr 2014 Dutzende von Journalistinnen und Journalisten entführt und fünf von ihnen zum Tode verurteilt. Einer von ihnen war Abdulraqib al-Jabihi. Der Vorwurf gegen den 69-Jährigen lautete „Spionage für einen ausländischen Staat“, gemeint war Saudi-Arabien. Er kam mehrere Monate später frei.
Gegen die vier anderen Angeklagten, Tawfiq al-Mansouri, Abdelkhaleq Amran, Akram al-Walidi und Hareth Hamid, wurde nach sechs Jahren Folterhaft am 11. April 2020 ebenfalls die Todesstrafe wegen „Geheimnisverrat und Spionage für ausländische Staaten“ verhängt. Zwei Jahre später, am 16. April 2022, kamen sie im Rahmen eines Gefangenenaustausches zwischen den Huthi-Behörden und der international anerkannten Regierung frei.
Abdelkhaleq Amran berichtete, was ihnen in den Huthi-Gefängnissen widerfuhr: „Wir wurden mit gefesselten Händen und Füßen an den Decken unserer Zellen aufgehängt. Sie drückten Zigaretten an unseren Körpern aus. Als eine Form der psychischen Folter taten sie, als würden sie das Todesurteil an uns vollstrecken. Bei jedem Verhör drohten sie damit, uns abzuschlachten, indem sie uns einen Krummdolch an die Kehle hielten.
Dabei sagten sie immer wieder, man sollte uns töten und unsere Köpfe am Bab al-Jemen (dem historischen Tor zur Altstadt von Sanaa, Anm. d. Red.) zur Schau zu stellen. Dann wären wir nichts weiter als Nummern, niemand würde sich an uns erinnern.“ Nach Aussagen der Journalisten wurden sie mit Gewehrkolben und Eisenstangen geschlagen und mit den Köpfen gegen die Zellenwände gestoßen. Man zwang sie, stundenlang zu stehen, übergoss sie nackt mit eiskaltem Wasser und quälte sie mit Elektroschocks.
Frau und Journalistin im Jemen
Für weibliche Medienschaffende ist die Situation besonders schwierig. Unter den im Jemen getöteten waren bislang drei Frauen: Außer der bereits erwähnten Fotojournalistin Rasha al-Harazi starb die Redakteurin Suad Hujaira 2016 bei einem saudischen Luftangriff auf ihr Haus in Sanaa. Dabei kamen auch ihr Mann Munir al-Hakimi, der wie sie bei Yemen TV tätig war, und ihre drei Kinder ums Leben.
Bereits 2015 fand Jamila Jamil, die für den Regierungssender Aden TV arbeitete, in Sanaa unter ungeklärten Umständen den Tod.
Journalistinnen sind im Jemen nicht nur den berufsbedingten Sicherheitsrisiken ausgesetzt, sie haben auch auf besondere Weise unter der religiös bedingten Frauenfeindlichkeit zu leiden, die sich in diskriminierenden Gesetzen ebenso niederschlägt wie in den Diskursen extremistischer religiöser Gruppierungen.
Weite Teile der Gesellschaft stehen der Arbeit von Frauen im Journalismus ablehnend gegenüber. In unserem Land ist es ein Leichtes, Frauen mundtot zu machen, und teils auch, ihren Willen zu brechen. Zahlreiche Journalistinnen waren schon systematischen Verleumdungskampagnen von politischen oder religiösen Gruppierungen ausgesetzt. Ziel ist immer, sie einzuschüchtern, weil sie es wagen, öffentlich unbequeme Meinungen zu äußern.
Journalistinnen führen einen Mehrfrontenkrieg: Sie kämpfen darum, ihre Existenz zu behaupten und ihre Rechte zu verteidigen. Sie stehen in einer permanenten Auseinandersetzung mit ultra-reaktionären religiösen Gruppierungen. Sie sind häufig sexueller Belästigung und Erpressung ausgesetzt. Die Täter machen sich die Tatsache zunutze, dass die Frauen ihre Arbeit nicht verlieren wollen.
Dabei bekommen diese ohnehin keine Führungsposition in den Medien, egal ob in staatlichen oder nicht-staatlichen. Selbst bei progressiven Organisationen sieht es kaum anders aus. Auch im Vorstand des YJS-Verbands findet sich unter 13 Mitgliedern nur eine einzige Frau.
Durch den Krieg haben Frauen viel verloren, darunter auch die wenigen Errungenschaften, die sie sich jahrelang erkämpft hatten. Dies gilt besonders für Regionen, die unter der Kontrolle der Huthi-Milizen stehen. Dort gelten strenge Beschränkungen für Frauen. So dürfen sie sich zum Beispiel nur noch in Begleitung eines männlichen Verwandten ersten Grades fortbewegen.
Berichterstattung unter Lebensgefahr
Wegen des Krieges und angesichts zunehmender Drohungen gegen sie haben viele Medienschaffende das Land verlassen. Somit blieb die Berichterstattung – insbesondere die über den Krieg – jungen und unerfahrenen Kolleginnen und Kollegen überlassen, die sich im Rahmen ihrer Tätigkeit unversehens inmitten des Kampfgeschehens wiederfanden.
Einige Arbeitgeber sahen sie als eine preisgünstige Alternative. Ihnen kam es gelegen, dass die Mitarbeiter oft von einer naiven Begeisterung getragen waren und jedes noch so geringe Honorar dringend gebrauchen konnten. Ohne jegliche Sicherheitsmaßnahmen oder spezielle Ausbildung im Bereich der Kriegsberichterstattung wurden sie von ihren Auftraggebern in lebensgefährliche Einsätze geschickt. Deshalb waren die Jahre, in denen der Krieg ungehemmt wütete, auch die blutigsten Jahre in der Geschichte des jemenitischen Journalismus.