„Ich wollte über eine Figur schreiben, die schamlos sie selbst ist“
Das Interview führte Julia Stanton
Im Mittelpunkt Ihres Romans stehen verschiedene komplexe Beziehungen zwischen Frauen: die Beziehung zwischen zwei Schwestern, die zwischen Mutter und Tochter sowie queere Freundschaften. Letztere kommen in der Literatur immer noch ziemlich selten vor.
Ja, in „Butter Honig Schwein Brot“ geht es um die Geschichte dreier Frauen: Kambirinachi, die glaubt, ein Ogbanje (böser Geist in der Kultur des Igbo-Volkes, Anm. d. Red.) zu sein, und ihren Zwillingstöchtern Kehinde und Taiye. Der Roman folgt lose Kambirinachis Lebensweg. Mir war es wichtig, die Themen Vergebung, Familie und insbesondere weibliche Beziehungen näher zu beleuchten.
Für mich gehören Freundschaften zu den wichtigsten Beziehungen; daher ist die verloren gegangene Verbindung zwischen Kehinde und Taiye im Roman auch so zentral, ebenso wie Taiyes queere Freundschaften. Sehr viele Autorinnen und Autoren konzentrieren sich in ihren Büchern auf romantische Liebe. Sie ist zwar schön, aber eben nicht die einzige Form der Beziehung und auch nicht unbedingt die erfüllendste.
Woher kam die Inspiration für „Butter Honig Schwein Brot“?
Ich habe viel zu den erwähnten Themen gelesen und aus Erfahrungen geschöpft, die ich nach meiner Rückkehr nach Nigeria nach meinem Studium in den USA machte. Ich habe „Butter Honig Schwein Brot“ 2013 in einer Zeit begonnen, in der mein Leben von Unsicherheit geprägt war. Damals haben mich viele Autorinnen und Autoren inspiriert: Aiwanose Odafen etwa, Chinua Achebe, Teju Cole und Chimamanda Adichie, um nur einige zu nennen.
Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir das Gedicht „Abiku“ von Wole Soyinka. Abiku ist in der Kultur der Yoruba eine besondere Art von Geist. Er ist vergleichbar mit dem Ogbanje aus der Kosmologie der Igbo. Ogbanje sterben angeblich als Kinder und werden dann in derselben Familie wiedergeboren, häufig mehrmals. Ich wollte diesen Aspekt des traditionellen Glaubens erkunden.
In Nigeria sind gleichgeschlechtliche Beziehungen illegal. Sie schreiben offen über Queerness. Seit einigen Jahren setzen sich auch viele andere nigerianische Schriftsteller in ihren Werken verstärkt mit diesem Thema auseinander. Würden Sie von einem Wandel in der Literatur Ihres Heimatlandes sprechen?
Ich kenne viele Autoren, die in den letzten Jahren ununterbrochen über queere Themen geschrieben haben. Ich glaube schon, dass es ein neues Selbstbewusstsein und eine neue Furchtlosigkeit gibt, Queerness zu thematisieren. Aber das kam nicht aus dem Nichts. Jude Dibia zum Beispiel hat in „Walking with Shadows“ 2005 über männliche Homosexualität geschrieben.
Ich denke, dass einige ältere nigerianische Schriftsteller den Grundstein dafür gelegt haben, dass sich jüngere Generationen ermutigt fühlen, ihrem Beispiel zu folgen. Dazu kommt, dass es mittlerweile ein Publikum für Bücher über Queerness gibt und daher auch Publikationsmöglichkeiten. Vor nicht allzu langer Zeit wären solche Bücher vermutlich nicht veröffentlicht worden.
„Ich hatte das Gefühl, das Land verlassen zu müssen, um ich selbst sein zu können“
Glauben Sie, dass die vermehrte Darstellung von Queerness in der Literatur zu einem Wandel in der nigerianischen Gesellschaft führt?
Ich denke schon, dass die Repräsentation in der Literatur die Gesellschaft voranbringt, absolut. Junge Menschen in Nigeria feiern Pride, sie veranstalten Drag-Bälle, sie leben ihre Identität offen aus. Das hätte ich mir nicht vorstellen können, als ich jünger war. Ich hatte das Gefühl, das Land verlassen zu müssen, um ich selbst sein zu können – und ich bin erst 34.
Ich glaube nicht, dass das heute auch noch der Fall wäre. Zugleich muss aber politisch noch viel geschehen. Es ist schwer vorstellbar, dass die hohen Haftstrafen für gleichgeschlechtliche Beziehungen in nächster Zeit aufgehoben werden.
Die Figuren in Ihrem Roman pendeln ständig zwischen verschiedenen Orten. Sie selbst leben heute in Kanada und betonen, dass Sie aus Ihrer Heimat wegziehen mussten, um so leben zu können, wie Sie es wollten. Sind ihre persönlichen Erfahrungen in der Diaspora in den Schreibprozess eingeflossen?
Ja, diese Erfahrungen haben mein Schreiben beeinflusst und tun es noch immer. Als ich in den USA lebte, habe ich mich damit auseinandergesetzt, was es in Nigeria persönlich aber auch in politisch bedeutet, queer zu sein. Ich glaube, das hätte ich zu Hause nicht tun können. Als ich nach Nigeria zurückkehrte, wusste ich, dass ich queer bin, und ich wusste, dass ich nicht so tun wollte, als wäre ich jemand, der ich nicht bin.
Daher bin ich nach Kanada gezogen, um ein Masterstudium zu beginnen. Ganz egal, was ich schreibe, in irgendeiner Form geht es immer um die Erfahrung in der Diaspora, und zwar nicht nur aufgrund persönlicher Erlebnisse, sondern auch, weil mich das Thema allgemein interessiert. Ich selbst bin sozusagen den offiziellen Weg der Migration gegangen, aber ich kenne viele Menschen, die Geflüchtete waren oder sind. Migration und Zwangsvertreibung machen etwas mit einem. Darüber wollte ich schreiben.
„Als Künstlerin interessiere ich mich sehr für ganz alltägliche Möglichkeiten des Widerstands“
In Ihrer Arbeit spielt die Verbindung zwischen Glaube und Queerness eine wichtige Rolle. Sie thematisieren den Zusammenhang auch in Ihrem Roman: Taiye ist queer und sehr religiös. Sie sucht und findet Trost in ihrem Glauben. Warum wollten Sie eine Figur schaffen, für die darin kein Widerspruch besteht?
Wenn Leute Argumente gegen Queerness suchen, sagen sie gerne, dass das gegen den Willen Gottes wäre oder nicht afrikanisch. Das stimmt einfach nicht. Als Künstlerin interessiere ich mich sehr für ganz alltägliche Möglichkeiten des Widerstands. Eine liegt für mich darin, eine Figur zu schaffen, für die ihr Queersein und ihr Glaube keinen Konflikt bedeuten.
Ihr Roman und auch die einzelnen Kapitel sind nach Lebensmitteln benannt. Taiye kocht sehr gerne, und es gibt viele ausgefallene Beschreibungen von Essen im Roman. Welche Rolle spielt Essen in „Butter Honig Schwein Brot“?
Ich liebe Essen, und ich lese gerne über Frauen, die einen unverschämtem Appetit auf Speisen, auf das Leben, auf Genuss haben. Die Gesellschaft fürchtet sich vor dem Essen und ist gleichzeitig davon besessen. Frauen wird eingeimpft: Iss nicht zu schnell. Pass auf, dass dich niemand beim Essen sieht. Pass auf, dass du nicht zu dick wirst.
Ich wollte daher über eine Figur schreiben, die einfach schamlos sie selbst ist, die isst, wann sie will, und kocht, was sie will. Gleichzeitig wollte ich nicht leugnen, welchen Einfluss die Gesellschaft auf die Selbstwahrnehmung von Frauen haben kann. Deshalb kämpft Kehinde, die korpulentere Schwester, mit ihrer Beziehung zum Essen und zu ihrem Körper. Mir war es wichtig, beides in dem Roman darzustellen.