Die Sehnsucht nach Welt

Die Video- und Fotoarbeiten von Sam Youkilis findet man auf Instagram unter @samyoukilis. Seine erste Museumsaustellung läuft noch bis zum 7. Mai 2025 im C/O Berlin.
Foto: Noah Emrich
Sam Youkilis: July 12, 2023, 2:14 PM
Das Interview führte Ruben Donsbach
In Sam Youkilis Universum ist alles gut, zumindest wirkt es so. In seinen Instagram Videos und Fotos spiegelt sich die Skyline Tokyos im Dämmerlicht surreal schön in einem See; Buckelwale springen wie Balletttänzer aus dem Ozean vor Hawai, junge Menschen in Neapel knutschen am Meer. Man sieht Schwärme von Sperlingen über Rom, die sich zu immer neuen amorphen Wolken verdichten, und Menschen, versunken in ihre handwerkliche Arbeit. Doch etwas an dieser flüchtigen Schönheit – von über 700.000 Menschen auf Instagram abonniert – stimmt nicht. Ein Unbehagen schleicht sich ein. Denn die Welt, die der Fotograf in seinen Reisebildern perfekt komponiert, als handele es sich dabei um klassische Malerei, ist längst dabei, unterzugehen: Das Wissen alter Menschen, das nicht mehr weitergegeben wird, die nur scheinbar intakte Natur in Zeiten der Klimakrise, ein trügerischer Friede. Warum wirkt das alles so eindringlich? Anlässlich seiner Museumsaustellung im C/O Berlin, haben wir mit Sam Youkilis über sein fortlaufendes Archivprojekt gesprochen.
In Ihren Foto- und Videoarbeiten spürt man keinerlei Nostalgie. Das ist überraschend, denn Sie dokumentieren mit Ihrem iPhone Menschen, die oftmals auf sehr traditionelle Weise arbeiten oder in einem scheinbar entschleunigten und analogen Alltag leben. Liegt dies an Instagram, dem Medium Ihrer Wahl, dass alles so gegenwärtig wirkt?
Ich habe grundsätzlich keine Angst vor Nostalgie. Meine Arbeit entsteht aus der Interaktion mit den von mir gefilmten und fotografierten Menschen. Diese Verbindung schafft ein Gefühl von Intimität und gleichzeitiger Unmittelbarkeit, die dem echten Leben recht nahekommt. Anstatt Neid oder Eifersucht zu wecken, soll meine Arbeit ein Gefühl der Präsenz vermitteln – sie ermöglicht es zu reisen, ohne tatsächlich vor Ort zu sein. Das ist mir sehr wichtig.
Sam Youkilis: October 18, 2018, 11:45 AM
War der Wunsch zu reisen der ursprüngliche Antrieb für Ihre Arbeit?
Ich würde sagen, ja. Ich habe Fotografie am Bard College im Bundesstaat New York studiert. Einer meiner Lehrer war der großartige Stephen Shore, der damals ständig durch die USA reiste. Er hat mich inspiriert. Ich lernte Auto zu fahren, was für New Yorker Kids ziemlich unüblich ist. Ich wollte so weit wie möglich von meinem Studienort weg und mich auf die Suche nach Dingen machen, die neu oder überraschend waren. Diese Sehnsucht nach Welt wurde sicher zur Grundlage meiner heutigen Arbeit.
„Fotos können viel manipulativer und selektiver sein“
Sam Youkilis: June 30, 2023, 2:17 PM
Denken Sie viel über Repräsentation nach, darüber, wie man Klischees vermeidet, wenn man Menschen und Orte abbildet?
Absolut. Natürlich abstrahiere und interpretiere ich; es ist nicht die Realität, die ich zeige, sondern meine Interpretation davon. Dennoch hilft mir grade das Medium Video, einer wahrhaftigen Darstellung näherzukommen. Fotos können dagegen viel manipulativer und selektiver sein.
In einem iMessage-Gespräch mit Ihrer Mutter, das Sie auf Instagram gepostet haben, schrieb diese, dass ihre Kurz-Videos aus Florenz sie an Gemälde aus dem 15. Jahrhundert erinnerten. Sind Sie in Wahrheit Dokumentar einer Welt, die im Untergehen begriffen ist?
Ich bin auf jeden Fall inspiriert vom italienischen Kino des 20. Jahrhunderts oder auch von Menschen, die jeden Nachmittag ans Meer gehen um den Blick in die Ferne schweifen zu lassen; etwas, das ich selbst auch gerne tue, wann immer ich kann. Ich fühle mich zu Dingen hingezogen, die verschwinden, seien es Gesten, Verhaltensweisen oder, ganz grundsätzlich, der Blick auf die Welt einer Generation, die bald nicht mehr da sein wird. Ich zeige Hmong-Frauen an der Grenze von Vietnam und China, die Hanfstoffe von Hand herstellen, oder die uralte sizilianische Tradition, Tomaten in der Sonne trocknen zu lassen. Es stimmt schon, meine Fotos und Videos könnten als Dokumentation oder auch als Archiv dieser Praktiken und Leben dienen.
„Es ist schon ironisch, eine verschwindende Kultur oder Tradition mit einem iPhone 16 Pro zu dokumentieren“
Es ist kurios, dass Ihr Ansatz so gut in den sozialen Medien funktioniert, obwohl diese doch eher von der Realität ablenken oder sie sogar verzerren.
Stimmt, es ist schon ironisch, eine verschwindende Kultur oder Tradition mit einem iPhone 16 Pro zu dokumentieren und sie einem Publikum in den sozialen Medien zu zeigen, um sie so zu bewahren. Natürlich steckt darin ein Widerspruch. Aber gleichzeitig ist es der effektivste Weg, dies zu tun.
Es gibt ein allgemeines Gefühl, dass eine alte Welt verschwindet, aber wir noch nicht genau wissen, wie das Neue aussehen könnte. Das löst bei vielen Menschen ein undefiniertes Empfinden von Verlust aus. Erleben Sie das auch auf Ihren Reisen?
Natürlich. Aber das ist ein Effekt der Globalisierung. In Italien ziehen zum Beispiel viele junge Leute aus dem Süden nach Mailand, um dort Arbeit zu finden. Es muss ihnen absurd vorkommen, mitten in Sizilien auf traditionelle Art und Weise Tomaten zu trocknen. Ich muss aufpassen, diese Praktiken nicht zu romantisieren, denn das ist das Letzte, was ich will.
Sam Youkilis: August 10, 2022, 10:24 AM
Wie umgehen Sie dieses Dilemma?
Wenn man das Alte bewahren will, ohne es zu musealisieren, ist es entscheidend, Wege zu finden, seine Geschichte neu zu erzählen. Der Perspektivwechsel hilft dabei, dass solchen Traditionen womöglich eine neue Wertschätzung entgegengebracht wird und Menschen die Chance bekommen, damit ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Aber das ist eine wirklich schwierige Frage. Ich bin mir nicht ganz sicher, welche Rolle meine Arbeit dabei spielt oder welchen Einfluss sie hat.
„Es ist grundsätzlich wichtig, nicht das Staunen über die ganz alltäglichen Dinge zu verlernen“
Tradition kann auch als Last empfunden werden, gerade in Ländern wie Italien, wo Innovationen oft misstrauisch beäugt werden. Gleichzeitig fehlt es besonders im Westen an Ideen für die Zukunft. Nach Ihren Reisen und dem Eintauchen in verschiedene Kulturen: Haben Sie Orte gesehen oder Menschen getroffen, an denen oder durch die tatsächlich etwas völlig Neues entsteht?
Lassen Sie es mich so sagen: Es ist grundsätzlich wichtig, nicht das Staunen über die ganz alltäglichen Dinge zu verlernen, etwa einen Kassenbon, der vom Wind eine Straße entlang geweht wird. Neues und Großartiges gibt es überall zu entdecken. Wir müssen unbedingt wieder lernen es dort zu finden, wo wir es nicht erwarten. Das geht nur mit Neugier und Offenheit.